Autore: Leopold Steurer

 

Rif. bibl.: Steurer, Leopold, Südtiroler Publikationen zu den Bombenjahren zwischen kritischer Analyse, Apologie und Verharmlosung, in „Politika“ 11, Jahrbuch für Politik/ Annuario di politica / Anuer de pulitica, Herausgegeben / a cura di /dat ora da Günther Pallaver, Edition Raetia, pp. 367-396.

 

 

Traliccio abbattuto durante l'ondata di attentati degli anni '60

 

 

 SÜDTIROLER PUBLIKATIONEN ZU DEN BOMBENJAHREN

ZWISCHEN KRITISCHER ANALYSE, APOLOGIE UND VERHARMLOSUNG

 

Leopold Steurer

 

 

 

DER BEGINN DER AUFARBEITUNG VOR 20 JAHREN

 

Angefangen hatte die Aufarbeitung des Themas der Bombenjahre Südtirols (1) mit dem zeitgeschichtlichen Lesebuch „Feuernacht“, das zum 30. Jahrestag des Ereignisses bei Raetia in Bozen erschien und von drei politisch engagierten wie historisch informierten JournalistInnen des Rai Senders Bozen, nämlich Elisabeth Baumgartner, Gerhard Mumelter und Hans Mayr (1992) verfasst wurde. (2)

Vorwiegend auf der Auswertung von Zeitungsmeldungen und von Interviews mit Südtiroler Akteuren der Feuernacht beruhend war die Publikation dem damaligen Kenntnisstand entsprechend durchaus seriös bearbeitet, wenngleich mit einer unverkennbaren, zwischen den Zeilen durchschimmernden Sympathie für die AttentäterInnen geschrieben. Vor allem aber lebte das Buch vom umfangreichen und zum ersten Mal in einem Band veröffentlichten Bildmaterial aus Archiven von Zeitungen und Fernsehanstalten in Italien, Österreich und Deutschland.

Da der Band, ein Jahr vor der offiziellen Streitbeilegungserklärung vor der UNO durch SVP und Wien, in eine politisch entspannte Zeit der Südtirolpolitik fiel und die Behandlung des Themas Feuernacht in Bezug auf die Gegenwart weitgehend eine sozusagen hausinterne Angelegenheit der SVP war, gab es auch kaum weitergehende Polemiken.

Dies änderte sich grundlegend, als 1999 der Innsbrucker Zeithistoriker Rolf Steininger seine insgesamt etwa 2.500 Seiten umfassende Trilogie „Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947–1969“ vorlegte. In diesem seinem vor allem diplomatiegeschichtlichen Werk vertrat Steininger auf Grund der erstmaligen Auswertung aller einschlägigen Akten zu Südtirol in den Außenministerien in Rom, Wien, Paris, London und Washington die These, dass der Weg zum Autonomiestatut von 1971, angefangen von der Einsetzung der Neunzehner-Kommission im Herbst 1961 über das Paket bis zu dessen Genehmigung in Bozen, Wien und Rom vom Dezember 1969 nicht wegen, sondern trotz der Feuernacht erfolgt sei.

Die Seele der sogenannten patriotischen Szene in Südtirol (Südtiroler Heimatbund, Union für Südtirol, Freiheitliche, Schützen) geriet ob dieser ketzerischen These in helle Aufregung. Da man aber der wissenschaftlich stringenten Argumentation Steiningers nichts entgegensetzen konnte, verlegte man sich auf billige politische Polemik: Der aus Deutschland stammende Herr Professor sei noch zu kurz in Innsbruck, verstehe daher zu wenig von der Mentalität der (Süd)Tiroler Patrioten und sei deshalb für die Bearbeitung eines derart brisanten Themas völlig ungeeignet.

 

 

BIOGRAFIEN: SEPP KERSCHBAUMER, JÖRG KLOTZ, LUIS AMPLATZ

 

Damit war aber auch der Startschuss gegeben für eine ganze Reihe von Publikationen, die beginnend mit dem Jahr 2000 in rascher Folge erschienen und freilich mehr oder weniger alle von Apologie und politischer Polemik anstatt von wissenschaftlicher Seriosität gekennzeichnet waren.

Darunter war die Biografie des charismatischen Anführers des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS), des einfachen Mannes aus dem Volke, des Bauers und Kaufmannes aus Frangart, Sepp Kerschbaumer, noch die harmloseste und am wenigsten von politischen Zielsetzungen konditionierte Publikation. Denn Kerschbaumers Mitstreiter Josef Fontana und der Journalist Hans Mayr (2000) zeichneten bei ihrer Ehrenrettung für die Männer des BAS von Kerschbaumer das Bild eines philantropischen und christlichen Pazifisten, der nur aus Verzweiflung über das Versagen der Politiker und aus ehrlicher, berechtigter Sorge um die Zukunft der Heimat zur Gewalt gegriffen hatte. Dass er dabei auch noch peinlichst darauf bedacht gewesen war, Gewalt nur gegen Sachen, nicht aber gegen Menschen anzuwenden und ebenso zwischen den italienischsprachigen MitbürgerInnen und dem italienischen Unterdrückerstaat zu unterscheiden wusste, garantierte, dass dieser Figur eines tragischen Helden die Sympathie der LeserInnen gewiss war. Da im Buch auch die Differenzen in Bezug auf die anzuwendende Strategie zwischen Kerschbaumer und radikaleren, explizit anti-italienischen, gewaltbereiten und nationalistischen Vertretern des BAS bewusst heruntergespielt und verwischt wurden, war der Weg zur Legendenbildung über die Feuernacht endgültig beschritten und Kerschbaumer konnte, auf die Gegenwart übertragen, fast schon wie ein Vorläufer des friedlichen Zusammenlebens im Rahmen der neuen Autonomie erscheinen.

Aus gänzlich anderem politischen Stoff war da das von Sepp Mitterhofer und Günther Obwegs im Jahre 2000 herausgegebene Buch „Es blieb kein anderer Weg. Zeitzeugenberichte und Dokumente aus dem Südtiroler Freiheitskampf“. Es war dies ein richtiges Pamphlet, eine politische Streitschrift des Südtiroler Heimatbundes, vor allem deren beider Obmänner Hans Stieler und Sepp Mitterhofer. Weil Silvius Magnago 1957 auf Schloss Sigmundskron nur das Los von Trient! ausgerufen hatte, wurde die SVP denn auch offen der „politischen Dummheit und des unverzeihlichen Verrates an unserer Heimat“ (Mitterhofer, Obwegs 2000, 26) bezichtigt und ihr die eigene „Wahrheit“, nämlich das sofortige „Los von Italien!“ gegenübergestellt.

Dass sich Bruno Hosp als ehemaliger Landeskommandant der Schützen und damaliger Landesrat für Kultur sowie der Experte für die Ortsnamensfrage Egon Kühebacher zu einem Vorwort zur Verfügung stellten, unterstrich zudem die Brisanz und direkte Instrumentalisierung der Ereignisse der 60er-Jahre für das politische Tagesgeschehen.

Im Zentrum des Buches stand aber die Anklage gegen das „Unrechtsregime“ Italiens, angefangen bei dessen Versuch der angeblichen „systematischen Ausrottung“ durch die Zuwanderung und Nichtverwirklichung des Pariser Vertrages bis hin zu den Folterungen. Daher sind die Folterberichte von Häftlingen und die Schilderung des Leides und der schwierigen Umstände ihrer Familien von Seiten der Ehefrauen der Häftlinge zentraler Bestandteil des Bandes. So wie jahrhundertelang der Märtyrerkult in der katholischen Kirche, wird hier die Erinnerung an Folter und Tod von ehemaligen Mitstreitern zum moralischen Unterpfand für die Weiterführung des Kampfes bis zum bitteren Ende. Dieser Streit um das politische Erbe Kerschbaumers war spätestens seit Juli 1996 voll entbrannt, als nämlich Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro als Geste des guten Willens und Zeichen der Versöhnung von Seiten Italiens alle in Südtirol lebenden ehemaligen Sprengstoff-AttentäterInnen begnadigte, was konkret hieß, dass alle noch auf ihnen lastenden Hypotheken rechtlicher Natur aus dem Strafregister gestrichen wurden und sie wiederum vollwertige BürgerInnen im Sinne des Gesetzes wurden. Während der Großteil der Betroffenen dieses Angebot annahm und damit, zumindest indirekt, die autonomiepolitische Linie der SVP befürwortete, lehnte eine kleine Gruppe um Sepp Mitterhofer mit der Begründung „Wir wollen nicht Gnade, sondern Recht!“ diese ausgestreckte Hand ab. Die unterschiedlichen politischen Zielsetzungen der Gegenwart hatten den Blick auf die Vergangenheit definitiv eingeholt und konditioniert.

Von daher erklärt sich also auch die unversöhnliche Sprache, in der das Buch insgesamt verfasst ist. Seine Aussagen sind kompromisslos und apodiktisch formuliert („Wahrheit“ gegen „Lüge und Verrat“) und so nimmt es eigentlich auch nicht weiter wunder, dass in dieser Optik sogar die im „Freiheitskampf“ getöteten Carabinieri und Finanzer ebenfalls auf das Konto des „italienischen Unrechtsstaates“ gehen, da „sie im Grunde Opfer der schlechten und verlogenen Politik ihres eigenen Staates geworden sind“ (Mitterhofer, Obwegs 2000, 330).

Der Titel des Buches entstammt übrigens einem Satz aus einem Brief, den der Sprengstoff-Attentäter der Feuernacht, ehemalige Hauptmann der Schützenkompanie Lana und damalige politische Häftling Jörg Pircher im Herbst 1966 aus dem Gefängnis an seine Mitstreiter richtete. Darin erklärt er – ganz in der Manier anderer terroristischer Organisationen – die Entscheidung von 1961 sowie die Fortsetzung des Kampfes als den einzigen richtigen Weg, um „von dem Joch der Unterdrückung loszukommen, der Kolonialherrschaft ein Ende zu setzen, der Assimilation im letzten Moment noch vorzubeugen und das Deutschtum im Süden zu retten“ (Mitterhofer, Obwegs 2000, 238f). Es gehe, so Jörg Pircher, „um Sein oder Nichtsein einer ganzen Volksgruppe“, um die letzte Rettung „im wahrsten Sinne des Wortes fünf Minuten vor zwölf“, bevor nämlich „das Land Andreas Hofers endgültig verwalscht wird und so für immer der deutsche Mutterlaut zwischen Eisack und Etsch verstummt!“. Dabei ergeht sich Jörg Pircher auch in wüsten Beschimpfungen gegen Bischof Joseph Gargitter („... auch der ,walsche Seppl‘ seine dreckigen Hände mit im Spiel hat ...“) und Bundeskanzler Josef Klaus von der ÖVP-Alleinregierung („... schändlicher Verrat, den die Wiener Regierung dabei ist zu begehen ...“).

Nun könnte allenfalls jemand Ton und Inhalt dieses Briefes mit der damaligen Situation der Verzweiflung und Verbitterung Jörg Pirchers im Gefängnis zu entschuldigen versuchen und verständlich machen wollen. Dass dieser Brief jedoch im Jahre 2000 von Sepp Mitterhofer und Günther Obwegs als Titel und zentrales Motto des Buches verwendet wurde, sagt eigentlich alles über die Unfähigkeit zu einer Versöhnung, über die Radikaltiät und den Fanatismus dieser ihrer politischen Gruppierung.

Hatten Hans Mayr und Josef Fontana in ihrem Buch versucht, den gesamten BAS und die politische Linie des 1974 als Organisation der ehemaligen politischen Häftlinge gegründeten Südtiroler Heimatbundes auf eine gemäßigte Linie im Sinne Sepp Kerschbaumers umzuinterpretieren, so gingen Obwegs, Mitterhofer, Stieler & Co. nun den umgekehrten Weg: Sie versuchen den 1964 im Gefängnis verstorbenen Kerschbaumer in eine kontinuierliche Linie mit ihren Forderungen nach sofortiger Selbstbestimmung Südtirols in der Gegenwart zu bringen und so für sich zu vereinnahmen.

Nach dieser ausgiebigen Beschäftigung mit Kerschbaumer war es an der Zeit, dass auch zwei weitere Figuren des Südtiroler Freiheitskampfes ihre hagiografische Publikation erhielten. So veröffentlichte Eva Klotz 2002 unter dem Titel „Georg Klotz: Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols“ die Biografie ihres Vaters. Herausgekommen ist dabei das ziemlich friedvolle Bild eines besorgten Familienvaters, eines um sein Dorf Walten, sein Passeier-Tal, sein Südtirol besorgten Tiroler Patrioten. Da ist nichts zu finden von dem in „Feldwebel-Latein“ sprechenden und vom „bewaffneten Guerillakrieg“ zur Vertreibung der Italiener aus Südtirol schwärmenden Jörg Klotz, so wie es Claus Gatterer und andere Autoren oft und in richtiger Weise formulierten (Gatterer 1979). Präsentiert wird dem/r LeserIn vielmehr der tragische, am Ende nicht bloß vom Großteil seiner ehemaligen Freunde, sondern sogar vom Vaterland Österreich im Stich gelassene Held, der bis zum bitteren Ende, nämlich seinem einsamen und letztlich vom Heimweh nach Südtirol verursachten Tod im Exil in der Köhlerhütte im Jänner 1976, seinen Idealen treu blieb. Die Parallele zum Schicksal Andreas Hofers ist unverkennbar und dazu angetan, beim/bei der LeserIn Gefühle der Empathie wachzurufen. Dass sich der Wehrmachts-Soldat und Landsknecht Klotz infolge seiner Unfähigkeit dazuzulernen selbst ins politische Abseits manövriert und die politische Entwicklung in Südtirol mit der Verwirklichung der Autonomie zum Zeitpunkt seines Todes längst über ihn hinweggegangen war, wird nicht weiter thematisiert.

Notwendig geworden war diese Biografie über Jörg Klotz aber nicht nur um ihn sozusagen aus dem Schatten Sepp Kerschbaumers heraustreten zu lassen, sondern auch, weil bis dahin über Jörg Klotz nur die Publikation des im rechtsextremistischen Verlag Welsermühl gedruckte und vom Vorsitzenden der sogenannten Volksbewegung für Südtirol, Robert H. Drechsler, verfasste Biografie „Georg Klotz. Der Schicksalsweg des Südtiroler Schützenmajors 1919– 1976“ aus dem Jahre 1976 existierte.(3)  Der ehemalige Brandenburger und spätere Rechtsextremist Drechsler, der auf Grund seines Deutschnationalismus konsequenterweise in Südtirol für die deutschsprachige Minderheit bis hin zur Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht, in Kärnten aber gegen die Rechte der slowenischsprachigen Minderheit, aktiv wurde, hatte sich in den 60er- und 70er-Jahren mit dem immer stärkeren Abgleiten der gesamten Südtirolaktivitäten in Österreich in das rechtsextremistische Fahrwasser massiv in die Südtirolpolitik eingebracht. Er wurde zum Freund und publizistischen Propagandisten der verschiedenen Südtirol-AktivistInnen nördlich und südlich des Brenners, die den Zug der Südtirolpolitik in Richtung Autonomie mit Bomben und Dynamit immer noch aufzuhalten versuchten.

So präsentierte denn Drechsler auch in seinem Buch von 1976 sowohl durch den Text wie durch viel Fotomaterial eben das Bild des echten, des Wehrmachts-Unteroffiziers, am liebsten militärisch-stramm und in Uniform mit all den Weltkriegs-Auszeichnungen auf der Brust, des auftretenden Freiheitskämpfers Jörg Klotz. All das konnte im Jahre 2002, als die Diskussion über die Nazi-Vergangenheit so mancher Vertreter des Südtiroler Schützenbundes längst begonnen hatte und nur mehr von den Waffen des Geistes im Kampf um die Selbstbestimmung gesprochen werden durfte, nur mehr peinlich sein und musste daher retuschiert werden.

Weitaus weniger spektakulär und Aufmerksamkeit erregend war dagegen die Biografie des Südtiroler-Heimatbund-Funktionärs Günther Obwegs „Luis Amplatz. Ein Leben für Tirol“ von 2004. Denn trotz seines tragischen Todes im September 1964 war Amplatz niemals derart zentral im Rampenlicht der Öffentlichkeit gestanden wie etwa Klotz oder Kerschbaumer. Die Schwierigkeit für Obwegs lag allenfalls darin, dem/r LeserIn überzeugend zu erklären wie die Frohnatur und der tolerante Lebemensch Amplatz den Schritt zum bewaffneten Kampf machen konnte. Auch wirkte der ausgesprochen betonte Italienerhass des Luis Amplatz im Jahre 2002 wahrscheinlich alles andere als sympathisch auf den/die LeserIn.

 

 

EIN WISSENSCHAFTLICHER SCHRITT NACH VORNE

 

Einen bedeutenden wissenschaftlichen Schritt nach vorne erzielte Hans-Karl Peterlini 2005 mit seinem fast schon monumental zu nennenden 388-Seiten-Werk „Südtiroler Bombenjahre – Von Blut und Tränen zum Happy End?“. Seitdem kann Hans-Karl Peterlini zweifellos als so etwas wie der offizielle Experte zum Thema Feuernacht in Südtirol 1961, zu dessen Ursachen, Hintergründen und Auswirkungen gelten.

Christoph Franceschini, der seinerseits auf Grund mehrerer Artikel sowie einer umfangreichen Aktenkenntnis als ein Experte zu den Bombenjahren der 60er-Jahre gelten kann (Franceschini 1993), hatte 2005 eine sechsteilige, vor allem auf Interviews mit Protagonisten der Feuernacht basierende Filmreihe produziert (Franceschini/Lechthaler 2005). Da dieser Filmreihe aber jegliche kritische Distanz zum behandelten Objekt fehlt, die Informationen und Behauptungen der befragten Zeitzeugen einfach als für sich gültige Aussagen stehen gelassen werden und eine wissenschaftliche Aufarbeitung im Sinne eines interpretativen Musters nicht erfolgt, kann in diesem Falle nur von einer Art dokumentarischen Sammlung von Materialien gesprochen werden.

Franceschini hat damals das Buch Peterlinis als eine zwar mit Sachkenntnis geschriebene Arbeit bezeichnet, in seiner summarischen Beurteilung aber kritisch gemeint: „Viel Neues bringt das Buch allerdings nicht“ (Franceschini 2005a).

Dagegen hat Peterlini zu Recht eingewendet, dass sehr wohl viele neue Erkenntnisse rund um die Bombenjahre der 60er-Jahre darin enthalten seien. Er hat diese in insgesamt acht Punkten zusammengefasst (Peterlini 2005a). Die wichtigsten dabei waren, dass zum ersten Mal die „Geburtshelferrolle“ des Alpenvereins für den Aufbau des BAS, die fließenden Übergänge von der Stieler-Gruppe Mitte der 50er-Jahre zum BAS aufgezeigt wurden, sodann die Bekenntnisse von BAS-Mitgliedern, dass es sich beim Anschlag auf den Journalisten Benno Steiner vom Sommer 1961 tatsächlich um einen versuchten „Mordanschlag von Mitgliedern des Meraner BAS“ gehandelt habe und auch der Mord am Carabiniere Vittorio Tiralongo sowie verschiedene andere Attentate im Pustertal tatsächlich „in die Verantwortung des BAS fallen“ (Peterlini 2005). Auch über das gesamte Umfeld des BAS in Österreich, über dessen Freunde und Unterstützer in den Bereichen von Staatsapparat (Justiz, Polizei), Presse und Politik bringt Peterlini viele neue Details.

Trotz all der vielen neuen Erkenntnisse sind aber auch Peterlinis „Südtiroler Bombenjahre“ mit einigen Schwachstellen behaftet und können wohl kaum als abschließendes Werk zu diesem Thema gesehen werden.

Da bleibt zunächst die Frage, warum der Autor die noch wichtigere „Geburtshelferrolle“ des Südtiroler Kriegsopfer- und Frontkämpfer-Verbandes (SKFV) und vor allem des Südtiroler Schützenbundes (SSB) für den Aufbau des BAS nicht einmal erwähnt hat. Hier hätte allein schon ein Blick auf die Liste der Führungsgarnituren dieser beiden Verbände, abgesehen von weiteren Elementen wie gemeinsame Ideologie, historische und personelle Kontinuitäten bzw. Überschneidungen, den engen Zusammenhang mit dem BAS leicht und deutlich aufzeigen können.

So sehr man dem italienischen Staat und dessen Sicherheitsorganen bei ihrer Südtirolpolitik bis 1961 gelegentlich zu Recht Blindheit, Versäumnisse und Unverständnis sowie im Anschluss an die Feuernacht auch schwere Menschenrechtsverletzungen vorwerfen kann, irgend eine Logik, um nicht zu sagen Berechtigung wird das Verbot des Schützenbundes durch Innenminister Mario Scelba vom April 1961 wohl doch gehabt haben: nämlich jene, dass von Rom spätestens seit den Andreas-Hofer-Feiern des Jahres 1959 im Schützenbund die gefährlichste Speerspitze des Pan-Tiroler Irredentismus erkannt worden war.

Allzu oft gehen bei Peterlini auch subjektives Einfühlungsvermögen und persönliche Sympathie gegenüber seinen Interviewpartnern aus dem BAS-Umfeld auf Kosten einer notwendigen objektivkritischen Distanz. So beschreibt Peterlini den Schmuggel von Waffen und die Planungen für Sprengstoff-Attentate gelegentlich geradezu in einer sprachlichen Form von Kriminal- oder Wildwest-Romanen. Hier als anschauliches Beispiel dafür die Darstellung der Rolle von Kurt Welser, der durch seinen ausgleichenden Charakter offenbar imstande war, die Ende 1960 bestehenden Zerwürfnisse innerhalb des BAS wieder zu glätten:

„Dass der Riss, obwohl an der Spitze lang nicht verheilt, kaum wahrgenommen wird, ist vor allem auch das Verdienst eines 1,90 Meter großen, strahlenden, begeisterten Tirolers, der mit einem forschen Lächeln und einem kräftigen Schulterklopfen alle Fronten vereint: Kurt Welser. Er hält über alle Zerwürfnisse hinweg die Kontakte zu allen Lagern […]. Überall im Lande taucht der Hüne auf […]. Er verwendet unterschiedliche Decknamen [...]. Am Klotzhof in Passeier reicht das Phantom (Welser) der Frau von Jörg Klotz eine Ladung Gewehre mit Zielfernrohr durchs Fenster. Bei Luis Steinegger klopft es mitten in der Nacht an die Jalousien: ,Mensch, einen Hunger hab ich'. Während Steineggers Frau noch Polenta zu Spiegeleiern röstet, tuschelt Welser, ob Steinegger danach mitgehen könne. Sie essen und brechen noch einmal auf, es hat geschneit, Welser steckt Steinegger eine Pistole zu und sagt: ,Fangen dürfen wir uns nicht lassen'. Er hat 300 Kilo Sprengstoff, Zünder und Sprengkapseln im Auto, gemeinsam verstauen sie die Lieferung im doppelten Boden eines Stadels [...]. Eine andere Traminer Gruppe, jene von Richard und Luis Gutmann, versteckt den Sprengstoff gar in der Gruft der Kapelle auf Altenburg. Es sind nur einige von vielen Episoden zwischen Jahresende 1960 und Juni 1961 - der große Schlag rückt näher.“ (Peterlini 2005, 93f)

Der durch solche Beschreibungen erreichte Effekt des Herunterbrechens von Aktionen, die in der Folge eine Spirale der Gewalt in Gang setzten, die letztlich kaum mehr zu bremsen war, auf eine rein menschliche Ebene, hat beim/bei der LeserIn unweigerlich zur Folge, dass Verständnis und Bewertung von Gewaltanwendung nicht mehr unter dem Aspekt ihrer politischen Implikationen gesehen, sondern nur mehr vom Gefühl der Antipathie oder Sympathie gegenüber den involvierten Akteuren abhängen.

Es ist in der Tat eine der grundlegenden Schwachstellen des Buches, dass Peterlini die moralisch-politische Frage nach der Berechtigung zur Anwendung von Gewalt im Südtirol des Jahres 1961 sich gar nicht stellt. Im Unterschied zu den AutorInnen offen apologetischer Natur, die diese Berechtigung, ja geradezu Notwendigkeit, ausdrücklich betonen, geht Peterlini dieser Problematik aus dem Weg indem er sie auf Grund der damaligen Umstände einfach als gegeben annimmt, ohne dies expressis verbis zu erwähnen und sie damit indirekt billigt und bejaht. Nur aus dem Kommentar Peterlinis zu den Bomben der 80er-Jahre, nämlich wenn er dazu feststellt, „sie erfolgen in einer Zeit, die Gewalt nicht mehr rechtfertigt“ (Peterlini 2005, 336), wird eindeutig klar, dass er hingegen die Attentate der gesamten 60er-Jahre von der Feuernacht bis hin zum Paket durchaus als legitim ansieht.

Ob es hier vielleicht nicht korrekter wäre zu sagen, seit der Einsetzung der Neunzehner-Kommission, der Bildung der Regierungen des Centro-sinistra in Rom und dem Kreisky-Saragat-Paket hatte sich die Situation der Südtirolpolitik bereits derart verändert, dass diese Bomben nur mehr den Zweck verfolgten, eine Lösung auf friedlich-diplomatischem Wege im Sinne der Autonomie zu torpedieren? Peterlini tut dies explizit nicht. Zwar muss auch er zugeben, dass für die Ernsthaftigkeit des Verhandelns von zwei Politikern wie Saragat und Kreisky die damaligen Bomben nur mehr „eine Belastung des Klimas“ (Peterlini 2005, 283) waren und dem kann man nur zustimmen. Daran anknüpfend formuliert Peterlini aber die folgende weder leicht verständliche noch leicht nachvollziehbare Überlegung:

„Für Saragats Spielraum in Italien mochte der Spannungszustand in Südtirol unerbetenerweise doch hilfreich sein. Wohl zielen die Anschläge auf eine Verhinderung jeglicher Kompromisse zugunsten der Selbstbestimmung oder wenigstens einer Vollautonomie hin, torpedieren damit Kreisky und Saragats Paket. Zugleich aber liefern die Anschläge den Verhandlern auch Argumente, den Terror durch politische Lösungen zum Schweigen zu bringen“. (Peterlini 2005, 283)

Richtigerweise erwähnt Peterlini in diesem Zusammenhang, dass fast zeitgleich mit diesen Bomben des BAS (bzw. genauer gesagt als Reaktion auf diese Bomben) sich auch in Italien aus dem politisch rechten, nationalistisch bis neofaschistisch orientierten Umfeld eine Gegenstrategie herausbildete, deren wahrscheinlich erste Aktion das Sprengstoff-Attentat in Ebensee (Salzburg) vom September 1963 war. Nun stimmt es klarerweise, dass es das Ziel dieser Gegenstrategie (der Strategie der Spannung) war, durch Eskalation „ein italienisches Nachgeben in der Südtirolfrage um jeden Preis zu verhindern“ (Peterlini 2005, 284).

Was Peterlini hier vergisst zu ergänzen, ist freilich, dass diese terroristische Gegenstrategie in der Öffentlichkeit ihre Existenz eben mit der legitimen Bekämpfung der pangermanistischen und neonazistischen Gefahr rechtfertigte, so wie umgekehrt die BAS-AttentäterInnen ihre Anschläge als antifaschistische Aktionen rechtfertigten, und dass sie vermittels der Eskalation in Südtirol überhaupt das Projekt des Centro-Sinistra zu torpedieren versuchte, da deren BefürworterInnen der Kapitulation in der Südtirolfrage bezichtigt wurden.

Wie da die Bomben des BAS für Saragat und die Vertreter des Centro-sinistra unerbetenerweise doch hilfreich gewesen sein sollen wo sie ja gerade in der Öffentlichkeit gegen die Kritik und Hetze der politischen Rechtskreise im Lande die Arbeiten der Neunzehner-Kommission als Grundlage für die diplomatischen Verhandlungen mit Wien durchsetzen mussten? Ob es hier nicht längst so war, dass aus unterschiedlichen, total entgegengesetzten Zielsetzungen heraus – nämlich Torpedierung der diplomatischen Verhandlungen für ein neues Autonomiestatut um überhaupt jegliches neue Zugeständnis an Südtirol zu verhindern einerseits bzw. um die Selbstbestimmung zu erreichen andererseits zwei extremistisch-terroristische Positionen sich gegenseitig in die Hände spielten? Warum sollen in dieser Phase Mitte der 60er-Jahre nur die Bomben der Strategie der Spannung als negativ bewertet, die Bomben des BAS hingegen weiterhin als hilfreich bezeichnet werden?

Peterlini jedenfalls bleibt dabei: „Der politische Schaden, der den Bombenlegern (des BAS, Anm. LS) von Seiten mehrerer Historiker angelastet wird, ist auch 1965 konkret nicht festzumachen“ (Peterlini 2005, 287).

Ob diese Bemerkung sozusagen als Feststellung ex post zu betrachten ist, nämlich, dass sich trotz dieser Bomben in Rom, Bozen und Wien die Stimme der Vernunft durchsetzte und das von diesen Bomben angepeilte Ziel eines Abbruchs der diplomatischen Beziehungen nicht erreicht wurde, oder dass diese Bomben tatsächlich auch im Jahre 1965 keinen politischen Schaden anrichteten, indem sie z.B. eine Lösung um Jahre verzögerten, Jahre, in denen es immerhin erneut Opfer und Tote gab?

Da Peterlini sich die Problematik von (eventuell) legitimer Gewalt im Südtirol des Jahres 1961 erst gar nicht stellt, dürfte es denn wahrscheinlich auch kein Zufall sein, dass er wohl den Hirtenbrief von Bischof Joseph Gargitter vom August 1961 mit den darin enthaltenen Ermahnungen zur Ablehnung von Gewalt (und zugegebenermaßen wenig glücklichen Aussagen über die Rolle des Kommunismus im Herzen Europas) kennt und zitiert, nicht aber dessen Hirtenbrief vom Februar 1960. In diesem ausführlichen Dokument zu den Themen Staat, Gesellschaft, Minderheiten, Rechten und Pflichten der StaatsbürgerInnen waren ausdrücklich die Rechte von Minderheiten betont und die Unterstützung der Kirche für dieses Anliegen zugesichert worden allerdings mit der ebenso unmissverständlichen Ermahnung, dass jegliche Gewaltanwendung zur Erreichung dieser Rechte mit der Sittenlehre der Kirche unvereinbar sei. Es ergibt also ein völlig einseitiges und verzerrtes Bild über die Person Gargitters, wenn Peterlini nur Verständnis zeigt über die empörte Kritik der verhafteten und gefolterten BAS-Mitglieder am Hirtenbrief vom Sommer 1961 (Peterlini 2005, 175), diese frühzeitigen Warnungen des Bischofs von 1960 aber gar nicht erwähnt.

Selbst wenn man mit Peterlini einer Meinung ist, dass ein Sepp Kerschbaumer und verschiedene seiner Gruppe bei ihren Aktionen von edlen Motiven und dem Grundsatz der Schonung von Menschenleben geleitet gewesen sein mögen (vgl. Gehler 2006), dürfte es für einen Wissenschaftler nicht genügen, das Problem von Gewaltanwendung ausschließlich von einem Standpunkt der Gesinnungs-Ethik und auch nicht von einem der Verantwortungs-Ethik aus zu erörtern. Präsentierten gewisse italienische

Publikationen die AttentäterInnen der Feuernacht oft alle unterschiedslos als blutrünstige Monster, so zeichnet dagegen Peterlini ein Bild liebenswürdiger Menschen und wagemutiger Patrioten, deren Aktivitäten beim/bei der LeserIn nichts anderes als Zustimmung, Bewunderung, Empathie erzeugen können.

 

 

FREIHEITSKÄMPFER AUF DER COUCH

 

Nun hat Hans Karl Peterlini bei seinem Studium der Erziehungswissenschaft an der Universität Innsbruck das Thema Feuernacht wiederum zum Objekt seiner Diplomarbeit gemacht und dabei sein gesamtes Wissen und Material durch einen psychoanalytischen Raster gefiltert, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen.

Was dabei unter dem Titel „Freiheitskämpfer auf der Couch“ (2010) dargelegt wird, ist der Versuch einer definitiven Antwort auf die Frage nach dem innersten Wesen und den tiefenpsychologischen Antrieben der Tiroler Verteidigungskultur von 1809 bis zum Südtirol-Konflikt der jüngsten Vergangenheit. Also ein fast metaphysisch anmutender Drang nach Erkenntnis der Substanz der (Süd)Tiroler Volks-Seele und deren Handlungsmotiven im Verlauf der letzten 200 Jahre Tiroler Geschichte.

Ins Buch eingeführt wird der/die LeserIn durch eine geraffte, durchaus überzeugende Erklärung der wichtigsten Begriffe, Methoden und Zielsetzungen der Individualpsychologie, der Sozialpsychologie und der Ethnopsychologie, wobei eigentlich alle Koryphäen dieser Disziplinen von Sigmund Freud, über Theodor W. Adorno, Erich Fromm, Mario Erdheim, Horst E. Richter bis Vamik D. Volkan zu Wort kommen.

Das als Zielsetzung für eine neue wissenschaftliche Erkenntnis angegebene Postulat einer Verbindung von „übergreifenden kollektiven Mustern“ mit den „einzelnen Attentäterbiografien“ (Peterlini 2010, 17) ist durchaus löblich und verspricht einiges. Enttäuschend ist lediglich, dass dieses Postulat nicht eingelöst wird, vor allem, weil bei den Attentäterbiografien über das familiär-soziokulturelle Umfeld bzw. die politische Verortung so mancher BAS-Protagonisten in der Zeit vor 1945 (sprich: Nationalsozialismus, Weltkrieg und Drittes Reich) rein gar nichts Neues geboten wird.

Durchaus anerkennenswert ist auch die Idee des Autors, die Psychoanalyse in ihren verschiedenen theoretischen Ausformungen bis heute für die Erklärung und Beschreibung politischer Ereignisse der jüngsten Südtiroler Geschichte nutzbringend anzuwenden. Denn allzu oft wurde dieser Versuch von Historikern vorschnell und überheblich als ein Irrweg ins Reich der reinen Spekulation abgetan. So gelingen dem Autor gelegentlich auch gleichermaßen überzeugende wie höchst treffende Urteile, wie etwa jenes beim Vergleich der Persönlichkeit und des Regierungsstils von Silvius Magnago und Luis Durnwalder mit der Bezeichnung „Von Magnagos Triebverzicht zu Durnwalders Libido“ (Peterlini 2010, 173).

Allein schon das äußere Erscheinungsbild und der unterschiedliche Lebensstil der beiden Protagonisten des asketischen Volkstumspolitikers und unbeugsamen Kämpfers für die Autonomie Magnago und des den Wohlstand und Reichtum dieser Autonomie genießenden und verwaltenden Pragmatikes Durnwalder wären dazu geeignet dem/ LeserIn die Richtigkeit eines derartigen Interpretationsmusters als zutreffend vor Augen zu führen.

Auch das psychoanalytische Deutungsmuster, dass sowohl Individuen wie soziale Gruppen angesichts plötzlich eintretender traumatischer Erlebnisse eigentlich nur drei Möglichkeiten der Reaktion nämlich das flight (die Flucht), das fight (der verzweifelte Kampf) oder das fright (die Schutzstarre) zeigen, lässt sich, wie Peterlini beschreibt, (Peterlini 2010, 56 f.), mit einigem Gewinn auf verschiedene Ereignisse der jüngsten Südtiroler Vergangenheit anwenden.

Hier stellt sich freilich sogleich die Frage, inwieweit die Aufständischen von 1809 gleich wie die Bombenleger des BAS von 1961 und der folgenden Jahre bis 1969 angetrieben waren von denselben Motiven nach der Selbstbestimmung des Landes und inwieweit sie auf dieselbe Volk-in-Not-Situation, die ein Handeln auch mit den Mitteln der Gewalt rechtfertigte, ja sogar als notwendig erscheinen ließ, weil allein Gewalt die-Not-wendend war, reagierten.

Diese im Untertitel des Buches suggerierte 200-jährige Kontinuität politischer Reaktionsmuster in der Tiroler Geschichte und nicht weiter hinterfragte Gleichsetzung von 1809 und 1961 scheint doch etwas gewagt und simplifizierend. Der Autor versucht es jedenfalls durch das psychoanalytische Interpretieren und Vergleichen von Texten (z.B. des Abschiedsbriefes Andreas Hofers an Erzherzog Johann und eines Flugblattes Sepp Kerschbaumers) bzw. durch die Beschreibung und Gegenüberstellung von Personen aus den Ereignissen von 1809 und 1961 dem/r LeserIn zu vermitteln.

Von einer derartigen linearen Gleichsetzung eines von edlen, ideellen Motiven geleiteten, aber leider verratenen bzw. verlorenen Freiheitskampfes von Anno Neun und der Feuernacht 1961 sowie der Zelebrierung der dabei zu Tode gekommenen Helden lebte bisher in erster Linie die politische Propaganda und Publizistik der sogenannten patriotischen Szene (Freiheitliche, Union für Südtirol, Schützen, Südtiroler Freiheit usw.), eine Gruppierung, der der Autor Peterlini wohl nicht unbedingt zugerechnet werden kann.

Und allein die Tatsache, dass sich unter den BAS-Mitgliedern nördlich wie südlich des Brenners gar einige, von Wolfgang Pfaundler bis Eduard Widmoser in Innsbruck, von Sepp Kerschbaumer bis Jörg Klotz in Bozen, in der Rolle eines neuen Andreas Hofer gefielen, in ihren Flugblättern, Reden und Texten auch explizit darauf Bezug nahmen, dürfte für eine wissenschaftliche Analogsetzung der beiden Ereignisse doch wohl etwas zu wenig sein.

Fatal ist es freilich, wenn, wie im vorliegenden Fall geschehen, der psychoanalytische Ansatz zu einer Art passepartout für die Interpretation von allem und für alles genommen wird. Diese Verengung zu einem monokausalen Politikverständnis ist denn auch die eigentliche crux und Schwachstelle des Buches von Peterlini.

Helmut Schönauer hat in seiner Besprechung des Buches von Peterlini festgestellt: „Ein wenig ahnt man freilich, dass dieser psychologische Flug über die seelischen Untiefen der Menschen so gut wie für alles geeignet sein könnte. Man könnte zum Beispiel auch Verkehrssünder, Raucher oder SVP-Wähler mit dieser Methode des Ödipus-Komplexes und einer starken Geburtstraumatik überführen. Die Psychologie ist schließlich jene Wissenschaft, die alles erklären kann, weshalb sie auch von so gut wie jedem mit erfolgreichem Abschluss studiert werden kann“ (Schönauer 2010).

Damit hat der Rezensent tatsächlich den Nagel auf den Kopf getroffen, denn nur mit einer nötigen Dosis Ironie und Humor lassen sich gelegentliche, fantasiereiche Interpretationen des Autors noch verkraften.

So etwa, wenn Wolfgang Pfaundler genau in der Phase der Planung der Sprengstoff-Attentate im Frühjahr 1961 durch eine Krankheit sowie vor allem durch die Entdeckung seines in einer Innsbrucker Wohnung angelegten und von Seiten des italienischen Geheimdienstes aufgedeckten Waffenlagers vorläufig, aber notwendigerweise, von den BAS-Aktivitäten ausgeschaltet wird und dies Peterlini tiefgründig psychologisch zu folgender Erklärung veranlasst: „Pfaundler hatte sich, so scheint es, durch Fehlleistung und Somatisierung selbst davon abgehalten, zerstörerisch zu wirken“ (Peterlini 2010, 85).

Nicht der von seinem Charakter her allen seinen Freunden als hochstaplerischer Prahlhans bekannte, mit traumwandlerischer Unbekümmertheit agierende und öffentlich vom bewaffneten Kampf à la Zypern oder Algerien schwadronierende Pfaundler wird hier als Motiv für dieses Missgeschick in Erwägung gezogen, sondern offenbar in seinem Unterbewusstsein agierende Kräfte.

Die Grenze des dem/r LeserIn Zumutbaren wird hingegen wohl eindeutig bei anderen derartig monokausalen, in diesem Falle pan-sexualistischen, Erklärungsversuchen überschritten. Da sind die Strom-Masten der italienischen Großindustrie nicht nur Symbole der kolonialen Ausbeutung und Unterdrückung Südtirols und daher Ziele terroristischer Aktionen, um durch deren Sprengung dem politischen Gegner einen größtmöglichen ökonomischen Schaden zuzufügen so wie etwa im Konzept vieler terroristischer Organisationen von der baskischen ETA bis zur irischen IRA.

Nein, die Strom-Masten sind auch Symbole für den „Phallus“ des verhassten Unterdrücker-Staates, die Stauseen werden zum „Uterus“, so wie das Wasser hinter den Staumauern (im Unterbewusstsein der AttentäterInnen oder in der Fantasie Peterlinis?) zum „Fruchtwasser“ wird, das über die Druckrohrleitungen (den „Gebärkanal“) die Kraftwerke versorgt und deren Funktionieren garantiert (Peterlini 2010, 107).

Dass die Bombenleger des BAS letztendlich keine Druckrohrleitungen oder Staumauern sprengten, lag laut Peterlini nur vordergründig (!) daran, dass die dabei entstehende Gefahr für die darunter liegenden (ergänze: a u c h deutschsprachigen!) Dörfer als zu groß eingeschätzt wurde, sondern war, wenn schon, entweder auf ein Missgeschick zurückzuführen oder hatte (schon wieder!) tieferliegende, aus dem Unterbewusstsein der AttentäterInnen stammende Motive:

„Im Sinne von Freuds Theorie über die Fehlleistungen und vor dem Hintergrund von Ranks Traumatheorie könnte nun gedeutet werden, dass für das Sprengen von Uterus und Geburtskanal der Mut und die letzte Entschlossenheit fehlte, so dass die Aggression auf die phallischen Symbole des Staates umgelenkt wurde“ (Peterlini 2010, 107).

Schwer auszumalen, was angesichts dieser Interpretationen die so aufs Kreuz (besser: auf die Couch) gelegten BAS-AttentäterInnen wohl sagen, wenn sie selbst bisher felsenfest davon überzeugt waren, dass das einzige Motiv ihres damaligen Handelns ethnopolitischer Natur war, nämlich die Bewahrung bzw. Rückeroberung des deutschen Charakters Südtirols, während sie nunmehr ihr Seelendoktor HKP eines Besseren belehrt und über die wahren Hintergründe aufklärt.

Der schwächste Aspekt dieses Buches von Peterlini sind aber zweifellos die oft banalen Assoziationen sowie die vielen Fehler rein sachlicher Natur, die sich beim Versuch einer psychoanalytischen Interpretation von Texten bzw. politischen Karikaturen aus der Zeit der Südtirol-Attentate eingeschlichen haben. Einige Beispiele dazu:

– Da wird in einem Flugblatt Sepp Kerschbaumers dem Wort Herrschaft folgende Interpretation untergeschoben: „Der Herr, im weitesten Sinn Gott, der Vater, der (fremde) Bauer, Schaft, in dem das Schwert/die Lanze steckt, phallisches Symbol. Der Phallus als väterliches Machtsymbol bzw. als Machtsymbol des Stiefvaterlandes, des (fremden) Bauern“ (Peterlini 2010, 118).

Da fragt sich der/die erstaunte LeserIn nur: Wenn hier statt Herrschaft das Wort Knechtschaft stehen würde, würde es dann vom Autor ebenso salopp und willkürlich in die beiden Teile Knecht und Schaft zerlegt und mit den entsprechenden Assoziationen verbunden?

– In einem Brief Sepp Kerschbaumers heißt es unter anderem: „Sie (die Südtiroler, Anm. LS) werden sich dagegen zur Wehr setzen, koste es was es will“.

Diese, übrigens für fast alle Texte Kerschbaumers typische, etwas dialektal gehaltene Ausdrucksweise ist für Peterlini Anlass zu einer Spekulation, in der das Pronomen es flugs zum Begriff des Es von Sigmund Freud mutiert:

„Koste es, was es will. Eigentlich: koste es, was es wolle. Das ,willˋ deutet auf Wille, Aggression, Triebauslebung. Sehr frei assoziiert: Koste es, was es will ein unbewusstes Bekenntnis zum unterdrückten Triebleben, zur unterdrückten Aggression, die raus muss, was immer Es kostet (unbewusster Wunsch nach Lust und Triebauslebung“) (Peterlini 2010, 124).

– In den 60er- und 70er-Jahren verwendeten sowohl österreichisch-pantirolisch wie rechtsextrempangermanistisch orientierte Organisationen in ihren Veröffentlichungen zu Südtirol wiederholt als Logo ein in einem Kreis eingerahmtes T. Die Aussage dieser grafischen Symbolik wäre also eigentlich leicht zu entziffern und klar gewesen: der Kreis als Symbol für Vollkommenheit, Einheit, Harmonie und Ganzheit stellte die Zielsetzung und Hoffnung der Wiedervereinigung Tirols dar. In der psychoanalytischen Interpretation bei Peterlini liest sich die Interpretation dieses Logos hingegen ganz anders:

„T im Kreis erinnert an Warntafel für Todesgefahr, könnte für Tod oder Todesgefahr in der engen, unterversorgten Heimat, im Mutterleib stehen; könnte auch auf die verdrängte und geleugnete Todesgefahr durch Anschläge hinweisen; Todesgefahr als universelle existenzielle Angst“ (Peterlini 2010, 126).

Angestrebte Wiedervereinigung als Hoffnung versus befürchtete Todesgefahr als Angst: Krasser könnte die total entgegengesetzte Aussage wohl kaum noch sein! So zeigt dieses Beispiel eines deutlich: wie leicht sich der reale Sinn einer Aussage durch vorschnelle Schlussfolgerungen psychoanalytischer Spekulation in sein Gegenteil verkehren kann, wenn grundlegende Informationen rein sachlicher Natur außer Acht gelassen werden.

– In den 60er-Jahren publizierte die Schweizer „Weltwoche“ (Abbildung in Peterlini 2010, 134) eine Karikatur zu Südtirol, in der dem/r LeserIn anschaulich die Unterdrückungspolitik verschiedener Staaten der Welt vermittelt wurde. Bildlich dargestellt war das Ganze durch das entsprechende Tier, das vom kulturhistorischen Diskurs her allgemein als nationales Symbol für das jeweilige Land bekannt war.

So hatte sich der französische Hahn Algerien, der russische Bär alle Ostblockstaaten, das südafrikanische Huftier die schwarze Bevölkerungsmehrheit, der chinesische Drache Tibet und die römische Wölfin eben Südtirol in der Form eines Mannes in Tracht und Lederhosen einverleibt. Nationalismus und Imperialismus also optisch leicht verständlich dargestellt und symbolisiert als regelrechtes Gefressenwerden der Kleinen und Schwachen durch die Großen und Starken.

Diese Karikatur mit dem „Tiroler im Mutterleib der Wölfin“ nimmt Peterlini zum Anlass einer auf den ersten Blick überzeugenden, geradezu raffiniert anmutenden Interpretation aus dem Repertoire der Psychoanalyse. Denn in dem auf dem Kopf der Wölfin befindlichen Hut mit Federn erkennt der Autor folgendes: „Sie trägt einen Schützen-Hut mit Federn, ein als phallisch deutbares Symbol, das neben der Angst vor Einverleibung in den Mutterleib auch auf die Kastrationsangst schließen lässt (der Tiroler wurde nicht nur gefressen, die Wölfin trägt auch einen Phallus in Form eines Tiroler-Hutes auf dem Kopf, was sich so deuten lässt: Sie trägt den Phallus der von ihr entmannten Tiroler zur Schau)“ (Peterlini 2010, 134-135).

Doch schon bei etwas genauerem Hinsehen entpuppt sich die auf den ersten Blick intellektuell so scharfsinnig anmutende Interpretation als Flop denn der auf dem Kopf der Wölfin befindliche Hut ist nämlich gar kein Tiroler Schützen-Hut, sondern ganz banal ein Bersaglieri-Hut! Eben ein bekanntes und in der Literatur und Ikonografie immer wieder benutztes nationales Symbol Italiens aus der Zeit des Risorgimento und des Ersten Weltkrieges.

Insgesamt liegen die Schwachstellen des Buches von Peterlini vor allem in zwei Punkten begründet:

Es zeigt, auf welche Abwege es führt, wenn das gesamte politische Geschehen monokausal auf ein einziges theoretisches Interpretationsmuster (hier konkret: auf eine Art pan-sexualistische, psychoanalytische Erklärungsschiene) zurückgeführt werden möchte, und zum anderen, wie rasch Geschichtsschreibung zur Legitimationswissenschaft, zu einer nachträglichen Rechtfertigung des Geschehenen gerät, wenn der Wissenschaftler zum untersuchten Gegenstand nicht die nötige Distanz bewahrt, sondern an einer Art Verliebtheit ins Objekt leidet.

Kaum einmal, dass der Autor sich auch zu einer selbstständig-kritischen Bewertung der Aussagen seiner interviewten Protagonisten durchringt. Als ein eklatantes Beispiel dafür folgendes Zitat:

„Die Gegenwärtigkeit des historischen Konfliktstoffes kam auch in einer Befragung junger Südtiroler Schützen zum Vorschein. Unter anderem wurden die jungen Leute danach gefragt, wovor sie Angst haben. Ein elfjähriger Bub, der in einer unbedrohten ländlichen Heimatidylle ohne italienische Dorfbevölkerung aufgewachsen ist, antwortete, er habe Angst vor einem Krieg. Wie es zu einem Krieg kommen könne: „Wenn Südtirol sich wehren muss gegen die Italiener.“ (Peterlini 2010, 182)

Anstatt die Aussage dieses Jung-Schützen als das zu bezeichnen, was sie real ist, nämlich als ein klassisches Beispiel für die Folgen politischer Indoktrination und Propaganda (man denke nur an das oft beschriebene Phänomen des Antisemitismus ohne Juden in der Vergangenheit oder an Formen von Xenophobie in der Gegenwart!), wird dieser junge Südtiroler vom Autor zu einer Art Kronzeuge für die Gegenwärtigkeit des historischen Konfliktstoffes hochstilisiert! Ganz so, als ob der kritische Journalist und Psychoanalyse-Experte Peterlini noch nie etwas davon gehört hätte, dass in Südtirol wie in ganz Europa seit langem gewisse Parteien ihre Wahlerfolge eben ihrer Politik der Angst, einer künstlich durch Propaganda geschaffenen, imaginären Angst vor Überfremdung, vor Identitätsverlust, vor Verlust des Arbeitsplatzes etc. verdanken würden.

Hatte man bei manchen bisherigen Publikationen, sowohl H.-K. Peterlinis wie anderer AutorInnen, oft den Eindruck, ein abschließendes Urteil über Südtirols Bombenjahre sei erst dann möglich, wenn restlos und einwandfrei geklärt sei, wer wann welchen Masten gesprengt habe und welche Hintermänner für diesen oder jenen Bombenanschlag verantwortlich seien, so vermittelt dieses Buch einen ganz anderen, geradezu gegenteiligen Eindruck: Je fantasievoller die Methode der freien Assoziation bei der Interpretation von Texten, Bildern und Ereignissen rund um die Bombenjahre, umso tiefgründiger und wahrheitsgetreuer sei das Verständnis für die Motive und Zielsetzungen der AttentäterInnen. Die präzise Kenntnis von Fakten rein empirischer Natur als e i n e der wichtigen und notwendigen Voraussetzungen für historiografische Forschung gerät dadurch leider allzu oft zu einer Größe von nebensächlicher Bedeutung.

Der Autor liefert für jegliche Handlung seiner analysierten Protagonisten das tiefenpsychologische Unterfutter, um beim/bei der LeserIn wohlwollendes Verständnis und empathische Zustimmung zu wecken. Peterlinis „Freiheitskämpfer auf der Couch“ macht dem/r LeserIn bewusst, dass eben auch die harte Knochenarbeit des Studiums der Dokumente, im konkreten Falle etwa die Lektüre Tausender von Seiten wie jene der „Akten zur Südtirol-Politik 1959–1969“ Rolf Steiningers (20052009), zum Handwerk des kritischen Wissenschaftlers gehört. Ohne selbstverständlich einer rein positivistisch orientierten Geschichts- und Politikwissenschaft das Wort reden zu wollen, kann deshalb die Antwort auf Peterlinis „Freiheitskämpfer auf der Couch“ nur lauten: Kehren wir aus dem luftigen Reich der tiefenpsychologischen Spekulationen wieder zurück auf den Boden der realen Fakten und Ereignisse und deren Einordnung in die politischen Hintergründe jener Zeit.

 

 

APOLOGIE UND VERHARMLOSUNG

 

Von gänzlich anderer Art als die Publikation Peterlinis zur Feuernacht sind die Memoiren eines der wichtigsten Zeitzeugen zu den Sprengstoff-Attentaten der 60er-Jahre, nämlich des (zeitweiligen) BAS-Chefs Günther Andergassen (2010). Das im Eigenverlag des Südtiroler Schützenbundes 2010 herausgegebene Buch „Ohne Opfer keine Freiheit. Autobiografie eines Musikers und Freiheitskämpfers“ ist gleichermaßen Rückblick auf das eigene Leben wie politisches Testament des Autors. Schon im Vorwort heißt es dazu: „Kampf den faschistischen Relikten“, natürlich nur mehr „mit friedlichen Mitteln und mithilfe des Wortes“ und nicht mehr mit Dynamit als Zukunftsprojekt und Rückblick auf die Vergangenheit, nämlich als Abrechnung mit Faschismus und Nationalsozialismus. Dass dabei ersteres den deutschsprachigen SüdtirolerInnenn viel leichter fällt als zweiteres, dafür ist auch Andergassen wieder einmal ein typisches Beispiel.

Die Informationen über den Faschismus sind ziemlich ausführlich und alle emotional aufgeladen, sodass dem/r LeserIn kaum noch Zweifel bleiben können über den verbrecherischen Charakter dieses Regimes. Dabei gibt es nicht nur Nachhilfeunterricht zur faschistischen Südtirolpolitik, sondern auch zu weiteren Verbrechen Mussolinis. Dass der Kriegsverbrecher Mussolini im Abessinienkrieg Völkermord beging, die Schuld für 700.000 Kriegstote trägt und „zu Hunderten koptische Mönche hinrichten und deren Köpfe aufgespießt zur Schau stellen ließ“ wird dem/r LeserIn gleich zweimal in der wörtlich fast gleich lautenden Fassung mitgeteilt (Andergassen 2010, 18, 76).

Spärlicher und weitaus unklarer sind hingegen die Informationen über Nationalsozialismus, Drittes Reich und Adolf Hitler obwohl all dies im Leben der Optanten- und Umsiedler-Familie Andergassen eine genauso wichtige Rolle gespielt hat. Die Bezeichnung Kriegsverbrecher für Hitler sucht man dagegen vergeblich, auch die Kriegsverbrechen des Dritten Reiches werden nie genannt. Alles, was Andergassen Hitler konkret vorzuwerfen hat, ist, dass er „uns einmal hereingelegt“ hat (gemeint ist wohl mit der Anerkennung der Brennergrenze, Anm. LS) und dass er „durch die Option die Südtiroler zu entwurzeln versuchte“ (Andergassen 2010, Vorwort).

Es beginnt schon damit, dass uns Andergassen das Naheverhältnis (auch die Zugehörigkeit?) seines Vaters zur illegalen NS-Bewegung, nämlich dem Völkischen Kampfring Südtirol (VKS), verschweigt. Er schreibt nur, dass 1937 sein Onkel Emil Kobler von den Faschisten wegen des Singens „deutscher Volkslieder“ verhaftet worden sei (Andergassen 2010, 22). Dass Kobler damals auch ein wichtiges Mitglied der illegalen NS-Bewegung in Südtirol, nämlich der Kreisleiter des VKS-Kreises Unterland, gewesen war, wird nicht erwähnt.

In Bozen, wo Andergassens Vater unter anderem arbeitete und die Familie einige Zeit auch wohnte, erhielt der Volksschüler Günther Andergassen geheimen Deutschunterricht, und zwar in den Räumlichkeiten der „Katholischen Aktion“ in der Dr. Streiter-Gasse „wo wir Kinder ,Theater' spielen durften. Hier griffen die italienischen Behörden offenbar nicht ein“ (Andergassen 2010, 29). Warum es tatsächlich diese wohl nur für den aufmerksamen bzw. ein wenig besser informierten Leser verständliche, unterschiedliche Haltung der faschistischen Behörden gab, würde nur klar werden, wenn uns Andergassen auch mitteilen würde, dass Kobler eben damals der VKS-Kreisleiter des Kreises Unterland war. Aber nachdem er dies nicht tut, wird der/die LeserIn im Unklaren gelassen und es zeigt sich an diesem Beispiel wieder einmal, dass halbe Wahrheiten (nämlich durch Verschweigen eines Teils der Wahrheit) des Teufels und nicht selten eine große Lüge sind.

Behandelt Andergassen das Thema Nationalsozialismus am Beispiel seines Vaters (von dem er z.B. explizit behauptet, dass er „keineswegs ein Nazi“ gewesen sei, aber nicht erwähnt, dass er bei seiner Arbeit als Goldschmied in Innsbruck 19401945 NS-Abzeichen in Email produzierte) vorwiegend mit der Methode des Verschweigens, so geht er bei der Schilderung seiner eigenen Schulzeit 19401945 einen Schritt weiter, nämlich den von der Beschönigung bis zur mehr oder weniger offenen, wenn auch plumpen Apologie.

Der Gymnasiast Andergassen gehörte 1942 zu jenen fünf Schülern aus dem Gau Tirol-Vorarlberg, die die Aufnahmeprüfung in die Adolf-Hitler-Schule auf der Anstalt Sonnenstein in Pirna bei Dresden schafften. Was Andergassen in dieser Eliteschule, von der es lediglich zwölf im gesamten Reichsgebiet gab, geboten bekam und lernen konnte, versetzt den/die heutige/n LeserIn wahrlich in Erstaunen, denn der Klassenvorstand, ein verwundeter Heimkehrer, war ein menschlicher Erzieher, in dessen Unterricht „für die Naziideologie kein Platz“ war:

„Da war nichts zu spüren von einer ,politischen Erziehung' im Sinne des Nationalsozialismus. Dieses Fach war gar nicht eingerichtet. Bei aller Strenge ging es doch menschlich zu. Das Kameradschaftsgefühl wurde sehr gefördert. Das Eintreten des einen für den anderen und die Hilfe des Stärkeren für den Schwächeren galten an dieser Schule als Grundprinzip...,Denken', nicht alles einfach so hinnehmen, wie es offiziell gemeldet wurde, sollten wir […].“ (Andergassen 2010, 4042)

Die Adolf-Hitler-Schule sozusagen als patentiertes Gütesiegel für eine Erziehung zum kritischen Denken, zu Demokratie und sozialer Verantwortung!

Nun war die sächsische Festung Sonnenstein in Pirna 19391941, also vor ihrer Umwandlung in eine Adolf-Hitler-Schule 1942, auch eine der Euthanasie-Stationen gewesen, in der im Rahmen der Aktion T 4 und Aktion 14 f 13 insgesamt etwa 15.000 geistig-körperlich Behinderte umgebracht wurden. Andergassen erwähnt dies gerade einmal andeutungsweise und in einem Halbsatz ( „... wo wir unsere Schule hatten […] vorher tausende Menschen als lebensunwert umgebracht worden“) (Andergassen 2010, 43), so dass ein/e historisch nicht gut informierte/r LeserIn wahrscheinlich die angedeutete Problematik gar nicht einmal bewusst wahrnimmt. Auch scheint dem Autor das nur zwei Seiten zuvor erwähnte, an der Schule angeblich praktizierte und erlernte „Grundprinzip des Stärkeren für den Schwächeren“ in keinem Widerspruch zur Euthanasie-Aktion der Nazis zu stehen und daher nicht weiter erklärungsbedürftig zu sein.

Umso ausführlicher berichtet Andergassen hingegen von dem in der revisionistischen Geschichtsschreibung „klassischen Kriegsverbrechen der Alliierten“, nämlich der Bombardierung der Stadt Dresden im Februar 1945. Anhand einer ganzen Seite Text und des auf zwei Seiten reproduzierten, allseits bekannten Bildes über das zerbombte und ausgebrannte Dresden berichtet Andergassen über dieses Ereignis. Dass er dabei auch tatsächlich die längst widerlegten Aussagen und Bewertungen rechtsextremistischer Historiker wiedergibt, verwundert eigentlich gar nicht mehr:

„30.000 Tote gab man später offiziell als Opfer an. Aber es waren in Wirklichkeit an die 250.000 […] Flüchtlinge aus dem Osten […] und viele, viele Unschuldige aus Dresden und Umgebung, wo es weder eine Kriegs- noch eine Zivilindustrie zu zerstören gab – alle starben einen furchtbaren Tod“ (Andergassen 2010, 44).

Allein schon ein Blick ins Internet hätte den Autor und die für das Lektorat des Buches verantwortliche Historikerin Dr. Margareth Lun belehren können, dass (ganz unabhängig vom positiven oder negativen Urteil über die Bombardierung aus militärstrategischer Sicht!) derartige Behauptungen ganz einfach falsch sind und zum klassischen Repertoire der politischen Propaganda des Rechtsextremismus gehören. Denn Dresden war „im Februar 1945 die letzte noch intakte Garnisonsstadt im Rücken der Ostfront“ (Wikipedia 2010). Dresden war ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, beherbergte auch verschiedene militärisch bedeutsame Rüstungsbetriebe und die Höchstzahl der Opfer des alliierten Bombenangriffs wird mit 25.000 Toten angegeben.

Seit seiner Bestellung zum BAS-Chef in Innsbruck im Herbst 1961 und bis zu seiner Verhaftung im April 1964 beteiligte sich Andergassen wiederholt auch aktiv an Terroraktionen in Südtirol und auf sein Konto gehen eine Reihe von gelungenen, halb gelungenen und nicht gelungenen Sprengstoff-Attentaten. Auch reiste er zusammen mit anderen Attentätern von der Schweiz aus nach Italien ein, um die Sprengung von Oberleitungsmasten der Bahnlinie ChiassoMailand vorzunehmen.

Die Übernahme dieser seiner Aufgaben 1961–1964 begründet er außer mit den Verhaftungen und Folterungen von BAS-Mitgliedern in Südtirol mit folgenden Worten: „Wir befürchteten, dass es in Südtirol wieder zu denselben Verhältnissen wie zur Zeit des Faschismus kommen könnte, denn die Diktion der führenden italienischen Politiker und Regierungen stand die der Mussolini-Zeit in nichts nach“ (Andergassen 2010, 86).

Diese wahrlich absurde Behauptung, dass sich in Südtirol seit dem Faschismus bis in die 60er-Jahre rein gar nichts geändert habe, wird von Andergassen identisch und explizit gleich mehrmals wiederholt (Andergassen 2010, 73, 76), ja sie bildet überhaupt so etwas wie die Grundthese des ganzen Buches und wird damit als Rechtfertigung für die Feuernacht 1961 und die nachfolgenden Attentate genommen. Dass angesichts derartiger pauschalisierender Aussagen Andergassen in den letzten Jahren ein beliebter Gastredner bei verschiedenen Veranstaltungen des Südtiroler Schützenbundes, vor allem bei dessen Aufmärschen gegen faschistische Relikte, geworden ist, braucht daher nicht weiter zu verwundern. Pauschalisierung statt Differenzierung war immer schon die Methode aller extremistisch-fundamentalistisch orientierten politischen Bewegungen, um damit ihre Positionen als unangreifbar zu untermauern und daraus für ihr Handeln eine Art Rettungsaktion in letzter Minute abzuleiten und sie als einzig richtige Strategie („fünf vor zwölf“ bzw. „es blieb kein anderer Weg“) zu präsentieren.

Der Abschnitt über die Verhaftung 1964 in Venedig, den Prozess von 1966 in Mailand bis hin zur frühzeitigen Freilassung von 1970 bildet vor allem eine persönliche Abrechnung des Autors mit dem „Dolomiten“-Redakteur Franz Berger, der sich offenbar über seine Freundschaft mit Luis Amplatz im Auftrag des italienischen Geheimdienstes damals in den Führungskreis des BAS in Innsbruck eingeschlichen hatte und in der Folge Andergassen zum Verhängnis wurde.

Beschreibt Andergassen mit Stolz seine bis zur Verhaftung von 1964 aktive Teilnahme am Freiheitskampf, so kann der/die erstaunte LeserIn wenige Seiten später lesen, dass 1969 mit der Annahme des Pakets in Bozen, Rom und Wien „die Politik in die richtige Richtung“ lief (Andergassen 2010, 130) wo er doch noch wenige Jahre zuvor selbst genau die Entwicklung in diese Richtung vehement mit Bomben und Dynamit bekämpft hatte! Aber damit nicht genug der Widersprüche und des Zick-Zackkurses, denn bis zum Zeitpunkt dieser Publikation im Jahre 2010 ist Andergassen längst wieder von der richtigen Richtung der Autonomiepolitik abgegangen und zur angeblich einzig richtigen Lösung, nämlich der Selbstbestimmung zurückgekehrt.

Geradezu locker und salopp aus dem Ärmel schüttelt Andergassen seine Urteile, wenn es um die Abrechnung mit ehemaligen politischen Gegnern oder die Bewertung der Feuernacht geht. Diese politischen Gegner von Andergassen in Südtirol waren damals die Richtung Aufbau in der SVP (opportunistische Gegenbewegung), die sich als Reaktion auf die Feuernacht herausgebildet hatte, und dann natürlich der SVP-Abgeordnete im römischen Parlament und Athesia-Chef Toni Ebner, der durch seinen Kommentar zur Feuernacht mit dem Titel „Geschändetes Herz-Jesu-Fest“ (Ebner, 1961) zum Feindbild schlechthin wurde.

Was hier Andergassen verharmlosend als eine „Abreibung“ (Andergassen 2010, 91) bezeichnet, war freilich der Plan eines weit gefährlicheren Anschlages, den BAS-Aktivisten in ihrem Fanatismus auf das Leben bzw. die Gesundheit Toni Ebners entwickelten, der aber schließlich entweder aus Mangel an Gelegenheit oder aus Gründen einer noch rechtzeitigen Intervention von Seiten gemäßigter Kreise unterblieb.

Andergassen muss zwar zugeben, dass das primäre Ziel der Feuernacht, nämlich „die Lahmlegung der Hochöfen (der Bozner Industriezone, Anm. LS) nicht geklappt“ habe, dafür aber, so behauptet er ohne konkrete Angaben und unisono wie alle seine Freunde, dass damit „zumindest die künstliche Zuwanderung fürs Erste blockiert“ und die Weltöffentlichkeit „massiv auf die Südtirol-Problematik aufmerksam gemacht“ worden sei (Andergassen 2010, 79).

Diesen beiden Behauptungen stehen allerdings eindeutig einige Fakten und einige weitere, mögliche Fragen gegenüber. Da dem politischen Stellenwert dieser Behauptungen wegen ihrer oftmaligen Wiederholung in verschiedenen Publikationen bis heute eine gewisse Bedeutung zukommt, ist es notwendig, sich damit ein wenig ausführlicher zu befassen.

Die durch keinerlei statistische Daten untermauerte Behauptung, die Feuernacht habe als eindeutig positive Auswirkung unter anderem eine weitere italienische Unterwanderung Südtirols verhindert, bildete bereits in den 60er-Jahren eine Art Kronzeugen-Theorie für die moralische und politische Rechtfertigung der Akteure der Feuernacht. In der Öffentlichkeit verwendet hat diese absurde These zum ersten Mal der wegen seines allzu verbalradikalen und sorglosen Umgangs mit Informationen und Vorbereitungen für den bewaffneten Kampf in Südtirol im Dezember 1960 abgewählte BAS-Chef Wolfgang Pfaundler.

Gewissermaßen als nachträgliche Bestätigung für die Berechtigung dieser seiner Abwahl und zum Entsetzen aller BAS-Mitglieder nördlich und südlich des Brenners war denn auch im März 1961 das von Pfaundler in einer angemieteten Wohnung im Zentrum Innsbrucks angelegte Waffenlager der Öffentlichkeit bekannt geworden. Eine gerichtliche Untersuchung und Anklage gegen Pfaundler wegen des Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz konnte trotz eines anfänglichen Vertuschungsversuches nicht mehr verhindert werden.

Dafür musste aber der im politischen und kulturellen Leben Tirols so bekannte Mann zumindest in der Gerichtsverhandlung aus politischen Überlegungen gerettet werden. Dies gelang auch. Kein Geringerer als Landeshauptmann Eduard Wallnöfer bestätigte nämlich im Zeugenstand unter Eid, dass die Behauptung Pfaundlers, Waffen und Sprengstoff seien ihm vom italienischen Geheimdienst untergeschoben worden, richtig sei. Er, so Wallnöfer, wisse dies auch aus anderen Fällen, nur müsse das Gericht verstehen, dass er „mit Rücksicht auf meine Südtiroler Landsleute nicht imstande bin, genauere Angaben zu machen“ (Scrinzi 1996, 298).

Dem Geschworenengericht in Graz genügte diese politische Versicherung Wallnöfers und es sprach den Angeklagten Pfaundler mit 8:0 Stimmen von der Anklage frei. Pfaundler trat daraufhin triumphierend vor die Öffentlichkeit der Presse und behauptete dabei unter anderem, dass „durch diese Anschläge (der Feuernacht, Anm. LS) die italienische Unterwanderung gestoppt worden“ sei (Scrinzi 1996, 301). Pfaundler wusste über diesen Sachverhalt also offenbar schon 1962 Bescheid – ohne überhaupt die Entwicklung der 60er-Jahre und die Ergebnisse der Volkszählung von 1971 erst abwarten zu müssen!

In der Folge ist diese angeblich durch die statistischen Daten der Bevölkerungsentwicklung in Südtirol untermauerte Behauptung von einem weiteren Einwanderungsstopp der Italiener durch die Feuernacht von 1961 des öfteren in apologetischen Publikationen wiederholt worden. Als Beweis dafür wird immer die prozentuelle Abnahme der Italiener an der Gesamtbevölkerung Südtirols von 34,3% bei der Volkszählung von 1961 auf 33,3% bei jener von 1971 gebracht. Doch allein dieser prozentuelle Rückgang der italienischen Sprachgruppe sagt noch nichts über die Ursachen dieser Veränderung aus, während die absoluten Zahlen der Sprachgruppen im Zeitraum 1961–1971 klar die These der obigen Behauptung widerlegen. Die deutsche Sprachgruppe stieg 1961 bis 1971 von 232.717 auf 260.351 Personen, aber auch die italienische Sprachgruppe von 128.271 auf 137.759 Personen. Entscheidend dabei war aber die demografische Entwicklung in der Landeshauptstadt Bozen.

Die Wohnbevölkerung der Stadt Bozen stieg laut Ergebnissen der offiziellen Volkszählungen von 88.799 im Jahre 1961 auf 105.757 Personen im Jahre 1971 und erreichte damit das bis heute nicht wieder erreichte Maximum an EinwohnerInnen. Nun dürfte es wohl klar sein, dass eine ins Gewicht fallende Zuwanderung deutschsprachiger SüdtirolerInnen aus den ländlichen Gemeinden nach Bozen erst seit dem Erlass des Autonomiestatuts von 1972 und den folgenden Durchführungsbestimmungen über Zweisprachigkeit und ethnischen Proporz bei öffentlichen Stellen im Verlauf der 70er-Jahre erfolgte. Diese Zunahme der Wohnbevölkerung der Stadt Bozen von 1961 bis 1971 beruhte also zum einen auf einer ganz natürlichen demografischen Entwicklung und zum anderen auf einer, so wie schon bisher in sehr beschränktem Ausmaße weiter stattfindenden, Einwanderung aus anderen Regionen Italiens. Das größere Wachstum der deutschen Sprachgruppe gegenüber jenem der italienischen insgesamt auf Landesebene war hingegen der weitaus höheren Geburtenrate der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung gegenüber der städtisch-industriellen Bevölkerung zuzuschreiben, sodass der prozentuelle Anteil der ItalienerInnen geringfügig sank.

Andergassen und all seine Feuernacht-Freunde tun so, als ob die Weltöffentlichkeit bis 1961 von Südtirol keine oder zumindest kaum Notiz genommen hätte. Nun ist wohl eher das genaue Gegenteil wahr. Nicht nur die Presse Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, auch die großen Zeitungen und Magazine vieler europäischer Länder berichteten in den 50er-Jahren wiederholt über Südtirol. Zweifellos aber berichtete die internationale Presse im Sommer 1961 außerordentlich viel und oft über Südtirol bis sich genau zwei Monate nach der Feuernacht mit dem Mauerbau in Berlin vom 13.08.1961 das gesamte politische Interesse auf den Kalten Krieg fokussierte und die Brennergrenze und deren Aufrechterhaltung zu einem wichtigen Baustein der NATO-Doktrin aufstieg. Eben ganz so, wie es sich die italienische Außenpolitik bereits seit Jahren gewünscht hatte!

Was dabei zu klären bleibt, wäre allerdings eine wichtige Frage:

War die Berichterstattung der internationalen Presse in den zwei Monaten des Sommers 1961 positiv zur Anwendung von Gewalt in Südtirol eingestellt und befürwortete sie das Selbstbestimmungsrecht der SüdtirolerInnen im Sinne einer Grenzänderung oder verurteilte sie bei aller ansonsten kritischen Beurteilung der Südtirolpolitik Roms ganz entschieden diesen Weg der Gewalt, weil sie darin einen möglichen Gefahrenherd ähnlich wie Zypern oder Algerien mitten im Herzen Europas befürchtete?

Auch ohne selbst eine empirische Überprüfung dieser Fragestellung vorgenommen zu haben, dürfte kaum ein Zweifel darin bestehen, dass ganz eindeutig die zweite Antwort zutrifft.

 

 

 

ANMERKUNGEN

 

1)   Publikationen zum Südtirol-Terrorismus, vor allem hagiografischer Art, hat es schon bald nach der Feuernacht von 1961 gegeben. In diesem Beitrag setze ich mich mit den wichtigsten, lange nicht allen, Publikationen zum Thema der letzten 20 Jahre auseinander, die aus der Feder Südtiroler AutorInnen stammen. Ausgeklammert bleiben beispielsweise Kofler 2003, Gehler 2006 oder Golowitsch 2009, aber auch die Attentate der 80er Jahre (vgl. dazu Peterlini 1992). Auffallend ist, dass kaum seriöse Publikationen von italienischsprachigen AutorInnen vorliegen (vgl. dazu etwa Bianco 1963; Gretter 1977; Lojacono 1968).

2)   Eine erste kritische Auseinandersetzung Steurers mit Publikationen rund um die Feuernacht erfolgte im Buch von Manuel Fasser: „Ein Tirol – Zwei Welten. Das politische Erbe der Südtiroler Feuernacht“ (Fasser 2009, Steurer 2009).

 

3)   Drechsler hatte schon 1968 ein erstes Buch über Georg Klotz unter dem Titel „Südtirols Passion 1918–1968. Georg Klotz – ein Tiroler Schicksal“ (Verlag der Wochenzeitung „Freiheit für Südtirol“, Wien) veröffentlicht. Das Wochen- bzw. spätere Monatsblatt „Freiheit für Südtirol“, herausgegeben von Robert Drechsler, erschien seit 1963 als Organ der Volksbewegung für Südtirol in Österreich und Volksbewegung für Südtirol in Deutschland, deren Vorsitzender ebenfalls Drechsler war. Das Logo dieser beiden Organisationen war ein T in einem Kreis als Symbol für das wiedervereinigte Tirol. Der politisch gleichermaßen fanatische wie naive Klotz, der nie ein Abgrenzungsproblem zur rechtsextremen Szene hatte, diente in seiner Rolle als Galionsfigur des Südtiroler Freiheitskampfes Drechsler immer wieder als Staffage für seine Auftritte in der Öffentlichkeit. Der ansonsten wegen seiner revisionistischen Bücher zum Dritten Reich und seines politischen Einsatzes für die Freilassung von Rudolf Hess und Walter Reder eindeutig als rechtsextrem eingestufte Drechsler konnte sich so bei seinen Südtirol-Aktivitäten dank der Freundschaft mit Klotz eine Art demokratisches Mäntelchen umhängen und als den Vertreter der wahren Interessen Südtirols ausgeben.

 

 

 

 

LITERATURVERZEICHNIS

 

Andergassen, Günther (2010). Ohne Opfer keine Freiheit. Autobiografie eines Musikers und Freiheitskämpfers, Neumarkt: Effekt-Buchverlag

Baumgartner, Elisabeth/Mayr, Hans/Mumelter, Gerhard (1992). Feuernacht – Südtirols Bombenjahre. Ein zeitgeschichtliches Lesebuch, Bozen: Edition Raetia

Bianco, Gianni (1962). La guerra dei tralicci, Rovereto: Manfrini

Drechsler, Robert H. (1968). Südtirols Passion 1918‒1968. Georg Klotz, ein Tiroler Schicksal, Wien: Verlag der Wochenzeitung „Freiheit für Südtirol“

Drechsler, Robert H. (1976). Georg Klotz, Wien: Südtirol-Informations-Zentrum

Ebner, Toni (1961). Geschändetes Herz-Jesu-Fest, in: Dolomiten, 13.06.1961, 1

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