Vorstellung / Presentazione:

Geschichte und Region/Storia e regione 24/1 (2015)

 

 GR/SR 2015/1

 

Wir laden herzlich zur Vorstellung des aktuellen Heftes unserer Zeitschrift ein, die sich dem Thema "Ländliche Ökonomien" widmet:

Montag, 29. Februar 2016 um 17.00 Uhr

im Ansitz Rottenbuch (Bozen, Armando-Diaz-Str. 8)

Es sprechen der Herausgeber, Hannes Obermair, und zwei Autoren, Emanuele Curzel und Volker Stamm.

 

Invitiamo alla presentazione dell’ultimo numero della nostra rivista che si dedica a "Economie rurali":

Lunedì, 29 febbraio 2016 alle ore 17.00

nel palazzo Rottenbuch (Bolzano, via Armando Diaz, 8).

Alla presentazione intervengono il curatore, Hannes Obermair, e due autori, Emanuele Curzel e Volker Stamm.

 

 

Die Blickachse dieses Heftes ist auf Grundstrukturen gesellschaftlichen Lebens der Vormoderne in ländlichen Räumen gerichtet. Drei themenzentrierte Aufsätze nehmen auf je unterschiedliche Weise Diskussionsfelder in den Blick, die zentral in die Fragestellung und die Spezifika einer vorindustriellen, genuin ländlichen Wirtschaftsweise hineinführen. Es geht dabei um die Erscheinungsformen ländlicher Soziabilität in einer Epoche, die zu der uns vertrauten, beinahe vollständigen Integration alles Nicht-Städtischen in die moderne Marktgesellschaft vorgängig war. Die Beiträge dieses Bandes öffnen ihre Forschungsperspektiven auf dörflich-ländliche Strukturen am Schnittpunkt anthropologischer, religionssoziologischer und wirtschaftspraktischer Fragestellungen.

 

Il focus di questo volume è rivolto alle strutture di base della vita sociale dell’età premoderna in aree rurali. Tre contributi mirati affrontano, con diverse prospettive, temi di discussione che si rivelano centrali nella problematica e nella specificità di un’economia preindustriale e genuinamente rurale. I contributi di questo volume aprono le loro prospettive di ricerca alle strutture delle società rurali intrecciando questioni antropologiche, di sociologia religiosa e di prassi economica.

 

 

Inhalt des Themenschwerpunktes dieses Heftes:

Contenuti della parte monografica di questo numero:

 

Editorial/Editoriale

Volker Stamm, Was ist historische Wirtschaftsanthropologie?

Massimo Della Misericordia, “Bona compagnia”. Le confraternite tra comunità e parrocchia in Valtellina tra il XV e il XVI secolo

Emanuele Curzel, Sul ruolo economico delle chiese di villaggio nel tardo medioevo. Notizie da libri di conti dell'area trentina

 

 

 

 Editorial

 

Hannes Obermair

 

Wenn man in historischer Perspektive von „ländlicher Ökonomie“ spricht, kann man den Blick stärker auf die wirtschaftlichen oder die gesellschaftlichen Dimensionen des komplexen Wechselverhältnisses von örtlichen Gemeinschaften und ihren vielfältigen Auskommens- und Überlebensstrategien richten. Die Beiträge dieses Themenheftes bemühen sich, einen Ausgleich zwischen den Formationen von Wirtschaft und Gesellschaft herzustellen und beiden Basisaspekten neue Informationen für ein Verständnis des „ländlichen Raums“ in alteuropäischer Zeit abzugewinnen. Dies bedeutet forschungspraktisch auch, jegliche einseitige Fixierung auf städtisch-industrielle Entwicklungslogiken hinter sich zu lassen. Dieses Bemühen kann dabei auf wichtige konzeptionelle Neuansätze der jüngeren Historiographie zurückgreifen. Diese hat klar herausgearbeitet, dass dörflich-rurale Lebensbedingungen in Mittelalter und Früher Neuzeit nicht hinreichend erfasst werden können mit dem beliebten Hinweis auf deren angeblich marktfernen und selbstgenügsamen Lebenswelten. (1) Vielmehr scheint die lange Zeit vernachlässigte ländliche Ökonomie von einer erheblichen Dynamik bestimmt gewesen zu sein, und ihre vielfältigen AkteurInnen haben zweifelsohne zu einer ebenso vielgestaltigen wie faszinierenden sozialen Textur der stadtfernen Gesellschaften, und der Elemente ihrer Lebensweise, beigetragen.

Die Blickachse dieser Ausgabe von „Geschichte und Regione/Storia e regione“ ist somit auf Grundstrukturen gesellschaftlichen Lebens der Vormoderne in ländlichen Räumen gerichtet. Naturgemäß ist hier keine neue Gesamtübersicht beabsichtigt, sondern drei themenzentrierte Aufsätze nehmen auf je unterschiedliche Weise Diskussionsfelder in den Blick, die zentral in die Fragestellung und die Spezifika einer vorindustriellen, genuin ländlichen Wirtschaftsweise hineinführen. Es geht dabei um die Erscheinungsformen ländlicher Soziabilität in einer Epoche, die zu der uns vertrauten, beinahe vollständigen Integration alles Nicht-Städtischen in die moderne Marktgesellschaft vorgängig war. Entzauberung des Ländlichen also unter dem Aspekt seiner frühen Kommerzialisierung? Auf jeden Fall bietet diese Schwerpunktnummer keine harmonisierten Modelle der altdörflichen Strukturen, die ohnehin auf tief verwurzelten kulturellen Vorannahmen hinsichtlich „Ländlichkeit“ und „Urbanität“ beruhen. Die Vorstellung von einer grundsätzlichen Differenz der Pole Stadt und Land ist denn auch jener wirkmächtigen Modernisierungs- und Dependenztheorie geschuldet, wonach Innovation ein wesentlich urbanes Phänomen sei und sich der agrarsoziale Bereich stets nachholend und abhängig hierzu verhalten habe. (2)

Die Beiträge dieses Bandes verlassen diese überkommenen Pfade und öffnen ihre Forschungsperspektiven auf dörflich-ländliche Strukturen am Schnittpunkt anthropologischer, religionssoziologischer und wirtschaftspraktischer Fragestellungen. In einem anspruchsvollen konzeptionellen Beitrag wirft Volker Stamm die grundsätzliche Frage nach den geeigneten Untersuchungsmethoden und Forschungsstrategien auf, um die soziale Formation der ländlichen Gesellschaft und ihrer Ökonomie auf adäquate Weise zu erschließen. Mit dem Instrumentarium der ökonomischen Anthropologie gilt es, ein zentrales Kriterium jeglichen Wirtschaftssystems, nämlich den Zugang zu Land, zu erörtern. Neben einer ausführlichen Diskussion des Forschungsstandes rekurriert Stamms Beitrag auf zwei auf den ersten Blick völlig konträre Fallbeispiele, das spätmittelalterliche Tirol sowie die ländlich geprägten Gesellschaften Westafrikas des vergangenen Jahrhunderts. In ihrer Gegenüberstellung werden aufschlussreiche Gemeinsamkeiten in der Landtransaktion wie in der Prägekraft außerökonomischer Faktoren sichtbar.

Massimo Della Misericordia widmet seine Ausführungen den besonderen Vergesellschaftsformen von dörflich organisierten Bruderschaften, den Congregationes, die das ländliche Veltlin des 15. und 16. Jahrhunderts nachhaltig prägten. Kommunitäres Handeln der Dorfgemeinden im lombardisch-bündnerischen Grenzbereich wurde von diesen kirchlich unterfütterten Assoziationsformen in umfassender Weise gestaltet. Frömmigkeit und wirtschaftliches Fortkommen gingen dabei häufig Hand in Hand, wobei sowohl Formen sozialer Inklusion wie Mechanismen der Exklusion und Abgrenzung beobachtet werden können.

Rechnungsbücher aus dem Bereich ländlicher Niederkirchen bieten einen besonders spannenden Einblick in die materielle Fundierung spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Gemeinschaftslebens. Emanuele Curzel zeigt dies an aussagekräftigen Beispielen des Trentiner Raumes auf und lenkt den Blick auf dessen spezielle institutionengeschichtlichen Zusammenhänge. Es erweist sich, dass die Landgemeinden mit der Kontrolle über das örtliche Kirchenvermögen auch wirksame Formen der Kreditbildung und Finanzierung der Weide- und Viehwirtwirtschaft gewährleisten konnten. Zugleich waren so geartete wirtschaftliche Praktiken zutiefst in kulturelle Sinngebungskonzepte eingebunden, die Formen der ländlichen Kommunalisierung stabilisieren und legitimieren halfen.

Der freie Aufsatzteil des Bandes stößt mit den Arbeiten von Marina Hilber und Walter Landi in die Themenbereiche von neuzeitlicher Medizin- und mittelalterlicher Rechtsgeschichte vor. Landis Beitrag unterzieht die lehensrechtliche Debatte des hochmittelalterlichen Burgenbaurechts im Trentiner Rechtsraum einer intensiven Relektüre und kommt zu völlig neuen Erkenntnissen hinsichtlich der bischöflichen Vergabepraxis. Hilber zeigt am Beispiel der Ausbildung von Tiroler und Vorarlberger Hebammen während der Sattelzeit um 1800 eindrucksvoll auf, wie sehr staatliche Professionalisierungsstrategien mit sozialpolitischen Ordnungsvorstellungen und Disziplinarisierungsmaßnahmen einhergingen.

 

 

Anmerkungen

 

1.       Vgl. hierzu etwa Frank Konersmann/Klaus-Joachim Lorenzen-Schmitt (Hg.), Bauern als Händler. Ökonomische Diversifizierung und soziale Differenzierung bäuerlicher Agrarproduzenten (15.–19. Jh.), Stuttgart 2011; Simonetta Cavaciocchi (Hg.), Il mercato della terra, secc. XIII–XVIII (Istituto Internazionale F. Datini in Prato II/35), Florenz 2004.

2.      Gegen solche Simplifikationen argumentierten bereits einflussreich, unter Hinweis auf intensive rural-urbane Marktverflechtungen und Kreditbeziehungen, u. a. Clemens Zimmermann (Hg.), Dorf und Stadt. Ihre Beziehungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 2001, sowie Thijs Lambrecht/Phillipp R. Schofield (Hg.), Credit and the Rural Economy on North-Western Europe, c. 1200–c. 1850, Turnhout 2009.