Autore: Leopold Steurer

Rif. bibl.: Steurer, Leopold, Propaganda im „Befreiungskampf“, in: Hannes Obermair, Stephanie Risse, Carlo Romeo (Herausgegeben von / a cura di), Regionale Zivilgesellschaft in Bewegung / Cittadini innanzi tutto, Folio Verlag ©, Wien / Vienna – Bozen / Bolzano 2012, pp. 386–399.

 

 

PROPAGANDA IM „BEFREIUNGSKAMPF“

Leopold Steurer

 

 

„Die Sache ist äußerst unkorrekt, denn Widmoser hat draußen leicht reden... Die Sache geht mir jetzt zu weit... Wir bemühen uns hier den Laden zusammenzuhalten, und er zerstört alles“ (SVP-Obmann Silvius Magnago Parteileitung vom 04.04.1960)

 

Manuel Fasser hat seiner politikwissenschaftlichen Arbeit zum Thema „Feuernacht“ den Titel „Ein Tirol  - zwei Welten“ gegeben, um damit die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) nördlich und südlich des Brenners in den Jahren 1957 – 1961 zu verdeutlichen: Einigkeit über das anzustrebende Ziel, nämlich die „Wiedervereinigung Tirols“, aber öfters wesentliche Divergenzen über den dazu einzuschlagenden Weg, die dafür geeignetsten Methoden und Instrumente (1). Allein schon die Tatsache, dass sich unter der Führung von Wolfgang Pfaundler diese aus dem 1954 gegründeten Bergisel-Bund (BIB) heraus entstandene Gruppe von Männern in Innsbruck lieber und öfter „Freiheitslegion Südtirol“ (FLS) anstatt BAS-Nordtirol nannte, verdeutlicht anschaulich diesen Unterschied.

Unabhängig von der sonstigen Bewertung der Ereignisse rund um die „Feuernacht“  hat die wissenschaftliche Literatur (Chr. Franceschini, H.-K. Peterlini, M. Fasser ) übereinstimmend auf die vollkommen unterschiedliche soziokulturelle Herkunft  der Mitglieder bzw. Sympathisanten von „BAS-Nord“ und „BAS-Süd“ hingewiesen: Angehörige des Tiroler Bildungsbürgertums ( Freiberufler, Beamte, Intellektuelle vom Schriftsteller bis zum Musiker und Universitätsprofessor )  im weitesten Sinne in Innsbruck, hingegen Bauern, Angestellte, Handwerker und Arbeiter in Bozen. Damit verbunden und aus den unterschiedlichen Aktionsmöglichkeiten in Österreich bzw. in Italien resultierend, ergaben sich aber auch vielfach divergierende Auffassungen über die in diesem Kampf für die „Befreiung  Südtirols“ anzuwendenden Methoden und Instrumente. Sollte dieser Kampf nur mit Sprengstoff-Attentaten rein symbolischer Natur und strikt beschränkt auf Objekte geführt werden, wie sich dies etwa die charismatische Leaderfigur eines Sepp Kerschbaumer vorstellte, oder durfte bzw. sollte in diesem Kampf sogar die Möglichkeit eines bewaffneten Guerilla- und Partisanenkampfes, so wie dies etwa einem Wolfgang Pfaundler nach dem Muster der griechisch-zypriotischen EOKA oder der algerischen FLN vorschwebte, einkalkuliert werden? Die Meinungen darüber gingen in Bozen und Innsbruck quer durch die Organisation des BAS auseinander und sie veränderten sich auch im Verlaufe der Zeit.

Generell aber kann gesagt werden, dass von Anfang an eine weitaus größere Radikalität, Kompromisslosigkeit und Risikobereitschaft bei den Vertretern des BAS in Nordtirol festzustellen war. H.-K. Peterlini hat dazu in seiner Einleitung zu den von Herlinde Molling  herausgegebenen „Protokollen, Skizzen und Strategiepapieren“ des BAS-Nordtirol zu Recht festgestellt:

„Die Nordtiroler 'FLS' war weniger bauch-  und weit mehr kopfgesteuert, war schon in ihrer Genesis von einem Gesamtentwurf eines gewaltsamen Kampfes geprägt, der die Bezeichnung 'Terrororganisation' eher verdient als der Südtiroler BAS“ (2).

Lediglich der stets in seinem „Feldwebel-Latein“  schwadronierende Schützenmajor Jörg Klotz war im BAS-Südtirol von Anfang an ein Befürworter des „bewaffneten Aufstandes“, des „Partisanenkampfes“ und der Forderung nach der „Vertreibung der Italiener“. Dies waren Parolen, denen sich erst im Verlauf der Entwicklung auch Protagonisten wie Luis Amplatz oder Jörg Pircher-Hofmann - der eine seit Mai 1961 im politischen Exil in Nordtirol und der andere seit Juli 1961 im italienischen Gefängnis - anschlossen.

Erst mit dem Ausscheiden der „autochthonen“ Südtiroler BAS-Komponente infolge der Verhaftungswelle vom Sommer 1961 wurde der BAS insgesamt zu einer terroristischen Organisation.

Vor allem aus der Tatsache, dass der BAS-Nordtirol den für den „Freiheitskampf“ notwendigen Sprengstoff, die Waffen und das Geld besorgte sowie für die technische Ausbildung zum Mastensprengen sorgte, leitete Wolfgang Pfaundler jedenfalls auch so etwas wie einen Führungsanspruch über die gesamte Organisation ab. Dazu kam, dass nur die Intellektuellen des BAS-Nordtirol dank ihrer Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten in Parteien und Institutionen  über das notwendige Hintergrundwissen zur richtigen Einschätzung der politischen Umstände, den opportunen Zeitpunkt von Sprengstoff-Attentaten und deren effiziente Verwertung in der medialen Öffentlichkeit verfügten.

Herlinde Molling, als eine der wenigen Frauen von Anfang in die Diskussionen und Planungen des „Befreiungskampfes“ im Nordtiroler BAS eingebunden, beschreibt dies 50 Jahre später im Rückblick so:

„Die Innsbrucker Intellektuellen hätten sich gerne als 'Feldherren' gesehen, sie glaubten, eine Schar von Kämpfern zu befehligen. Demgegenüber standen die Südtiroler: Bauern, Handwerker, Arbeiter, die aus ihren Möglichkeiten heraus zu agieren trachteten. Alsbald hatte sich eine Art Misstrauen, ein keimender Unmut, gegen  den immer deutlicher werdenden Führungsanspruch der Nordtiroler Gruppe aufgebaut, die ihrerseits unverhohlen durchblicken ließ: Wer zahlt, schafft an!“ (3).

Dieser Führungsanspruch des BAS-Nordtirol über die verschiedenen Zellen des BAS-Südtirol, in Protokollen des BAS-Nordtirol ganz unumwunden gelegentlich auch oberste  „Befehlsgewalt“ (4) genannt, ging zum Teil so weit, dass zeitweise sogar an den Aufbau einer vom zögerlichen  Sepp Kerschbaumer, dem ewigen Zauderer und stets um allfällige Opfer bei Anschlägen auf Objekte besorgten BAS-Chef, unabhängigen  „zweiten Front“ in Südtirol gedacht wurde. Zur Führung dieser ganz auf Innsbruck ausgerichteten „zweiten Front“ ausersehen waren sowohl Jörg Klotz wie die um den Bozner Martin Koch agierende BAS-Zelle.

Dieser organisatorische Führungsanspruch Pfaundlers konnte letztlich nicht realisiert werden. Er scheiterte an der moralischen Autorität von Sepp Kerschbaumer. Der Konflikt zwischen Pfaundler und Kerschbaumer endete schließlich mit der Ersetzung Pfaundlers durch Heinrich Klier als neuen Chef des BAS-Nordtirol im Dezember 1960.

Waren die „peones“, das Fußvolk des BAS-Südtirol, bei der konkreten Durchführung der Sprengstoffattentate als gleichberechtigte Partner ihrer Nordtiroler Freunde, abgesehen von anderen Gründen, oft allein schon wegen ihrer Ortskenntnisse, in den meisten Fällen unerlässlich, so war dies bei der medialen Vorbereitung, Unterstützung und Auswertung des „Befreiungskampfes“ gänzlich anders. Hier übernahmen und behielten die „Kopfarbeiter“ des BAS-Nordtirol von Anfang an bis zum Ende die Führung.

Zwar ist uns Sepp Kerschbaumer als rühriger und schreibfreudiger Obmann der SVP-Ortsgruppe Frangart auch als Verfasser vieler Rundschreiben und Flugblätter bekannt, in denen er in den Jahren vor 1961, immer wieder den „alten Tiroler Geist von 1809“ beschwörend, seine Parteifreunde auf eine härtere Gangart gegenüber Rom zu bringen versuchte. Aber wer auch nur einige wenige dieser seiner  Flugblättter gelesen hat, wird sogleich verstehen, dass BAS-Chef Kerschbaumer zwar ein recht volksnaher und volkstümlicher Redner und Schreiber gewesen sein mag, jedoch zweifellos nicht geeignet gewesen wäre, die Anliegen des BAS auf einer höheren intellektuellen und politischen Ebene angemessen zu vertreten. Dabei hatte der Bauer und kleine Gemischtwarenhändler Kerschbaumer, Jahrgang 1913,  noch das Glück gehabt, die gesamte Volksschule in deutscher Unterrichtssprache absolvieren zu können. Viele seiner etwas später geborenen BAS-Mitstreiter dagegen waren durch die faschistische Schule überhaupt zum kulturellen Status des Halb-Analphabetentums verdammt worden und außerdem durch das Heranwachsen unter den Bedingungen der beiden totalitären Systeme des Faschismus und Nationalsozialismus nie zu einer rationalen, gewaltfreien Bewältigung von Konflikten befähigt worden.

Die politische Öffentlichkeitsarbeit als flankierende Begleitung des „Freiheitskampfes“ in der Periode 1959-1961 lag vor allem in den Händen von Dr. Eduard Widmoser. Als geschäftsführender Direktor des BIB, Mitglied des BAS-Nordtirol und ( vom bürgerlichen Beruf ) Direktor des Tiroler Landesarchivs gefiel es ihm, von seinen Freunden als „Kampfmoser“ tituliert zu werden und sich damit wohl als so etwas wie die „graue Eminenz im Hintergrund “ des geplanten „Volksaufstandes“  zu fühlen, analog zur Rolle seines Vorgängers von Anno Neun, nämlich des kaiserlichen Hofrates und Archivdirektors Joseph von Hormayr im Jahre 1809.

Die Gleichsetzung der Lage Südtirols unter der angeblich seit 1918 mehr oder weniger immer gleich gebliebenen  italienischen „Fremdherrschaft“ mit jener Tirols unter der bayerischen Besetzung vor 1809 war denn auch eines der ständig gebrauchten Argumente in den Reden und Artikeln Widmosers: Die weltanschaulich-ideologische Bedrohung Tirols durch die Ideen der Aufklärung und der Französischen Revolution in der Vergangenheit wurde  bruchlos auf die Gegenwart übertragen und durch die Gefahr des ethnisch-kulturellen Untergangs in der Gegenwart ersetzt.

Bei den Vorbereitungen zur UNO-Debatte im Herbst 1960 waren es vor allem zwei andere Themen gewesen, die  die Arbeit der österreichischen Delegation bei ihren Bemühungen um Sympathie und Unterstützung für Südtirol in gewisse Schwierigkeiten gebracht hatten: die Polemik gegen die „Mischehen“ und das Thema  der  „afrikanischen Negerrepubliken“. Sowohl von  SVP-Funktionären wie in Flugblättern des BAS war 1959-1960 wiederholt die Gefahr  des „Volkstodes der Südtiroler“ durch Mischehen beschworen und überdies beklagt worden, dass die UNO wohl Verständnis für die Forderung nach Selbstbestimmung der verschiedenen „afrikanischen Negerstämme“, nicht aber für Tirol als der „ältesten Festlanddemokratie“ in Europa zeige. Außenminister Bruno Kreisky, so heißt es etwa im Protokoll der Delegationsbesprechung in New York vom 28.10.1960 ( R. Steininger 2006, Band 2, S. 740 ), habe den SVP-Vertretern gegenüber erklärt, wie sehr dieses Argument der „Mischehen“ auch bei befreundeten Regierungen geschadet habe und  er sei vom äthiopischen UNO-Delegierten direkt auf einen Brief  angesprochen worden, „den er aus Südtirol von einer Lokalorganisation der SVP erhalten hat und in dem es hieß: 'Wenn uns die UNO nicht dieselben Rechte gibt, die sie den rückständigsten schwarzen  Kolonialvölkern gibt,...etc.'. Der Herr BM (Bundesminister) verweist auf den überaus schädlichen Effekt, den solche Formulierungen bei den afro-asiatischen Staaten hervorrufen müssen“ (5).

Aber nicht nur im Ausland, auch in Österreich selbst waren derartige abstruse Urteile und Vergleiche Anlass für herbe Kritik und politischen Verriss. Etwa beim „Freigeist“ Paul Flora, der in einer seiner Karikaturen die Ankunft der Österreicher und (Süd)Tiroler mit Gamsbart und Federn am Hut bei der UNO von Seiten der dort akkreditierten afro-asiatischen Diplomaten mit dem Satz „Die Exoten kommen!“ kommentieren lässt (6).

Missbilligte der Sozialdemokrat Kreisky auf Grund seiner kosmopolitisch-internationalistischen Ausrichtung alle derartigen aus einem kulturell-zivilisatorischen Überheblichkeitsdünkel heraus gefällten Urteile, so waren es bei Widmoser andere Aspekte der Südtirolpolitik, die sein Missfallen erregen mussten.

Die Lösung von Minderheitenproblemen war nach Auffassung  Kreiskys nämlich, so wie er wiederholt bei den verschiedenen Südtirolbesprechungen in Innsbruck gegenüber den Vertretern von SVP und ÖVP betonte, nicht unbedingt ein Problem der Veränderung von Staatsgrenzen, sondern vielmehr die Frage  der Erarbeitung eines Autonomiemodells, das den Angehörigen der Minderheit in allen gesellschaftlichen Bereichen gleiche Chancen wie den Angehörigen des Staatsvolkes garantieren sollte.

Widmosers in all seinen Reden und Artikeln geradezu gebetsmühlenhaft wiederkehrende Formulierungen für die Forderung nach  Selbstbestimmung und Rückkehr Südtirols zu Österreich waren ein Gemisch von Argumenten „völkischer“ Herkunft unter Berufung auf historisches, natürliches und göttliches Recht. So führt er etwa in seiner Rede aus Anlass der Wiederkehr des 40. Jahrestages der Annexion am 10.10.1960 und als Einstimmung auf die in New York in Gang befindliche UNO-Debatte über Südtirol vor dem Goldenen Dachl in Innsbruck aus:

„Wir werden dieses Unrecht des geteilten Landes niemals anerkennen. Das Recht muss wieder hergestellt werden, um Tirols Leben zu garantieren. Das ist das Gesetz der Heimat, das ist unser von Gott gegebenes Recht, dem unsere Väter Gut und Blut, Leib und Leben, Schweiß und Tränen und ihr Gebet opferten. Das ist das Gesetz, dem wir von Geburt an unterworfen sind! Italien hat kein geschichtliches Recht auf unser Südtirol. Südtirol aber hat das Recht auf Freiheit!“ (7).

In der für die Eliten Tirols typischen Verquickung von Religion und Politik hatte Widmoser in seiner Rede anlässlich der Großkundgebung zum  Andreas-Hofer-Gedenkjahr am 26.09.1959 den Festgästen zugerufen:

„Halten wir fest: Italien will nicht wahrhaben, dass es unserer Heimat, unserem Volke, unserem Vaterlande Unrecht zugefügt hat und in Permanenz weiter zufügt! Dass es sich etwas angeeignet hat, das nicht herrenloses Gut, sondern unsere Heimat Tirol ist.

Deshalb muss mit aller Deutlichkeit festgestellt werden: Tirol, nämlich das ganze Tirol bis Salurn, ist unser Boden, ist unsere Heimat, das Land gehört uns. Es ist unsere Erde, weil unsere Väter diesen Boden bestellt haben, unsere Väter dieses Land geschaffen haben, unsere Väter diese Heimat erworben haben. Kurz: dieser Gottesgarten ist unser, weil die Geschichte, weil Gott es so wollte!“ (8)

Im September 1959, kurz nach dem großen Landesfestumzug aus Anlass des Gedenkjahres, hatte der BIB in seiner Bundesversammlung beschlossen, in seiner medialen und politischen Arbeit nunmehr offen für die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht für Südtirol einzutreten. Zusammen mit Pfaundler und Oberhammer gehörte es in den nächsten Monaten zu einer der wichtigsten Aufgaben Widmosers, alle Ortsobmänner der SVP Bezirk für Bezirk nach Innsbruck einzuladen, um sie auf die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht einzuschwören und sie so auf die kommende SVP-Landesversammlung vorzubereiten.

Diese Strategie des BIB, über die systematische Beeinflussung der SVP-Ortsobmänner endlich auch innerhalb des höchsten Parteigremiums eine Mehrheit für die Forderung nach der Selbstbestimmung zu bekommen, war in jenen Monaten des Winters/Frühjahrs 1959-60 denn auch wiederholt Anlass für Kritik von Seiten wichtiger Funktionäre bei Parteileitungs-Sitzungen.

Am heftigsten von allen formulierte Parteiobmann S. Magnago seine Kritik an dieser Vorgangsweise Widmosers. Auf der Parteileitungs-Sitzung vom 04.04.1960 sagte er dazu unter anderem:

„Widmoser hat also vor 57 Ortsobmännern für das Selbstbestimmungsrecht plädiert und hat gesagt, Autonomie und Selbstbestimmungsrecht haben die gleichen Aussichten durchzugehen, somit ist es gescheiter, gleich das Selbstbestimmungsrecht zu verlangen [...] Die Sache ist äußerst unkorrekt, denn Widmoser hat draußen leicht reden. Diese Ortsobmänner sollen nun alle noch vor der Landesversammlung  hinaus und sollen draußen in einer  gewissen Richtung  hin bearbeitet werden. Die Sache geht mir jetzt zu weit. [...].Es ist unbedingt ein unkorrektes Vorgehen. Wir bemühen uns hier den Laden zusammenzuhalten, und er zerstört alles“ (9).

Aber auch andere Aktivitäten Widmosers fanden oft nicht die Zustimmung gemäßigter und realpolitisch orientierter Funktionäre sowohl der ÖVP in Innsbruck wie der SVP in Bozen. Widmoser, der als BAS-Gründungsmitglied zweifellos über die organisatorischen Vorbereitungen für den „großen Schlag“ in Südtirol informiert gewesen war, entwickelte in seinen Reden und Artikeln oft geradezu apokalyptische Visionen über die Lage und Zukunft Südtirols. So etwa in seiner Rede auf einer BIB-Kundgebung in Solbad Hall am 05.01.1960:

„Die Situation ist alarmierend! Sie hält bereits an der Nahtstelle dessen, was der realistische Blick, was die Wirklichkeit als tödliche Bedrohung erkennen muss, weil von Salurn bis Meran bereits 100.000 Italiener und bloß 63.000 Tiroler leben!

Besinnen wir uns daher doch endlich auf unsere Pflicht, bevor dieser oder jener Heißsporn zur Waffe und Munition greift  -  angesichts unserer Passivität greifen muss-  und Berge und Wälder, Zinnen und Almen die Geburt Tiroler Kampfgruppen erleben werden, von denen Südtirol widerhallen, Italien sich bestenfalls einen Schock holen und die Welt eine Lehre hinter die tauben Ohren schreiben kann, dass eben das, was man mit Südtirol macht, heute auch nicht einmal in Zentralafrika mehr möglich ist!“ (10).

Offenbar die „Todesmarsch-Parole“ von Kanonikus Michael Gamper aufgreifend, sprach Widmoser vom „großen Dammbruch, der Fluten fremder Elemente ins Land wirft, das  uns  gehört“. War der Hinweis auf die italienische Bevölkerungsmehrheit in Bozen und Meran durchaus korrekt, so sah Widmoser aber auch schon das Schreckgespenst, „dass auch Brixen, die älteste Stadt Tirols, in Gefahr läuft, in der italienischen Mehrheit zu ersticken!“. Diese Prophezeiung für Brixen war doch wohl etwas zu realitätsfern, als dass sie jemand in Südtirol geglaubt hätte. Denn der Anteil der italienischsprachigen Bevölkerung von Brixen war seit 1945 immer ziemlich konstant bei 25% gelegen, die Italiener waren zudem - im Unterschied etwa zu Bozen - recht gut in das Leben der Stadt integriert, so dass Brixen kaum nennenswerte Konflikte ethnischer Natur kannte. Was der SVP in Brixen damals allenfalls Sorgen bereitete, war weniger ein mögliches „Ersticken in der italienischen Mehrheit“, sondern vielmehr die ungelösten partei-internen, weitgehend noch aus der Zeit von Option, Umsiedlung und Weltkrieg 1939-1945 stammenden Zwistigkeiten zwischen der SVP und der „Dissidentengruppe“ um die Liste „Weißer Turm“.

Widmoser rekrutierte in Südtirol aus dem Umkreis des BAS, der SVP sowie der studierenden Jugend (Oberschüler, Universitätsstudenten, Bauernjugend) eine Gruppe von Personen, die als Beauftragte seiner „Propagandagruppe“ in jenen Jahren immer wieder von ihm verfasste Flugblätter nach Südtirol schmuggelten und dort zur Verteilung brachten. Der wichtigste Mitarbeiter Widmosers in dieser Funktion war einige Zeit Donat Prantner, ein Stiefbruder von Jörg Klotz und Schwager von Luis Amplatz. In Nordtirol selbst übernahmen  vor allem Studenten und Burschenschaftler aus dem Freundeskreis Norbert Burgers diese Aufgabe. Diese Flugblätter Widmosers bestanden zumeist nur aus wenigen schlagwortartigen Sätzen, in denen die italienische Südtirolpolitik verurteilt und die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht erhoben wurde. Optisch veranschaulicht und leicht verständlich gemacht wurde diese Botschaft mit einem Logo, nämlich  einem großen T in einem Kreis als Symbol für die „Wiedervereinigung des zerrissenen Tirol“. Dieses Logo wurde möglicherweise auch deshalb gewählt, um dem zwischen Kerschbaumer und Pfaundler schwelenden Konflikt um die Bezeichnung „Befreiungsausschuss Südtirol“ oder „Freiheitslegion Südtirol“ aus dem Weg zu gehen.

Die Arbeit der „Propagandagruppe“ funktionierte längere Zeit reibungslos, bis im Jänner 1961 etwas Unvorhergesehenes passierte, nämlich eine der vielen „Pannen“ beim Schmuggel von Waffen, Sprengstoff und Flugblättern von Innsbruck nach Südtirol.

Widmoser war nämlich durch seine Propagandatätigkeit für Südtirol längst ins Visier des italienischen Geheimdienstes geraten. Als Widmoser zusammen mit seinem Freund Prantner im Jänner 1961 bei einer Bozner Bank ein auf den Decknamen „Doktor Hans Schmidt“ lautendes Konto des BIB eröffnete, über das die weiteren Aktivitäten verschiedener BAS-Mitglieder in Südtirol bezahlt werden sollten, fand diese Operation unter den Augen der italienischen Polizei statt. Als Donat Prantner am Abend desselben Tages zu Jörg Klotz ins Passeiertal fahren wollte, wurde er von den Carabinieri von Meran verhaftet und es wurden eine in seinem Besitz befindliche ansehnliche Geldsumme sowie zwei Pakete Flugblätter beschlagnahmt.

Es waren im März 1961 zwei weitere Ereignisse, die den BAS in Zugzwang brachten und die von der Führungsgruppe des BAS-Nordtirol gegen den Willen ihrer Südtiroler Freunde seit jeher vertretene Strategie des so genannten „großen Schlags“ an Stelle der von Kerschbaumer stets favorisierten „kleinen Nadelstiche“ mittels Anschlägen rein symbolischer Natur auf Objekte unausweichlich machten:

-          Die Finanzpolizei in Bozen beschlagnahmte die Kontoauszüge des zwei Monate zuvor eingerichteten BIB-Kontos Widmosers und gelangte so anhand der abgehobenen Summen an die Adressen von rund einem Dutzend führender BAS-Mitglieder, die in der Folge kurz verhaftet und verhört wurden.

-          In Innsbruck kam es zur spektakulären Aufdeckung des von Wolfgang Pfaundler in einer von ihm angemieteten Wohnung angelegten Sprengstoff- und Waffendepots. Die dabei von der Staatspolizei beschlagnahmten Materialien belegten nunmehr eindeutig, dass die Verbindung des BAS-Südtirol zu Innsbruck neben den schon bekannt gewordenen politischen und finanziellen Zielen auch der Durchführung terroristischer Aktivitäten dienten.

Weitere kurzzeitige Verhaftungen von BAS-Mitgliedern im Zusammenhang mit Sprengstoffanschlägen auf verschiedene Objekte sowie die unbefriedigend verlaufenen diplomatischen Gesprächen in Mailand (Jänner 1961) und Klagenfurt (Mai 1961) waren in der Folge für den BAS der Anlass zum endgültigen Beschluss zur Vorbereitung des „großen Schlags“ vom Juni 1961.

Anlässlich der „Feuernacht“  kam es in ganz Südtirol zur Verteilung eines Flugblattes, dessen Text Anfang Juni 1961 beim Treffen der BAS-Vertreter aus Süd- und Nordtirol im schweizerischen Zernez vereinbart worden war. Dieses Flugblatt mit dem Titel „Landesleute! Die Stunde der Bewährung ist da!“ trug oben links den Tiroler Adler und unten rechts den Stempel „Befreiungs-Ausschuss Südtirol“ und enthielt den Appell an alle Südtiroler, zur „Unterstützung des Freiheitskampfes“ bereit zu sein. Der für ein Flugblatt relativ lange Text war von den Nordtiroler BAS-Emissären in Zernez vorgelegt und dann einstimmig approbiert worden. Lediglich auf expliziten Wunsch (des immer „tiefreligiös“ argumentierenden!) Sepp Kerschbaumer war als Schluss-Satz noch das bekannte „politische Vermächtnis“ von Kanonikus Gamper („Ein Volk, das um nichts anderes kämpft, als um sein natürliches und verbrieftes Recht, wird den Herrgott zum Bundesgenossen haben!“) hinzugefügt worden. Das Flugblatt ist als die wohl wichtigste, weil direkt zur „Feuernacht“ gehörige BAS-Botschaft, in vielen Publikationen zur Südtiroler Zeitgeschichte als Faksimile veröffentlicht worden (11).

In einem kurzen Rückblick auf 40 Jahre italienisch-faschistische Südtirolpolitik enthielt das Flugblatt einige durchaus  zutreffende bzw. vertretbare Aussagen, überwiegend aber bestand es aus pauschalisierenden, übertriebenen bis falschen Behauptungen. Vollkommen korrekt wurde auf das brisante Problem der Benachteiligung der deutschsprachigen Südtiroler bei der Vergabe von Volkswohnbauten und Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst hingewiesen und die Zahl der in Südtirol lebenden Italiener mit 130.000 angegeben.

Die Behauptung, das Nachkriegs-Italien setze seit 1945 „die Methoden der faschistischen Gewaltherrschaft fort und überbietet sie noch“, war dagegen nicht nur eine grobe Vereinfachung, sondern ganz einfach falsch. Der von einigen DC-Parlamentariern im Februar 1961 eingebrachte Gesetzesentwurf, der mit fadenscheinigen Begründungen („mangelnde Treue zur Republik“) die Möglichkeit einer Aberkennung der italienischen Staatsbürgerschaft androhte, wäre im Falle seiner Approbation und Anwendung zweifellos eine große Bedrohung für die Südtiroler gewesen. Da der Inhalt eines derartigen Gesetzes ohne Zweifel auch verfassungswidrig gewesen wäre, wurde er nicht bloß von Seiten der SVP und Österreichs, sondern auch von der Opposition der politischen Linken im römischen Parlament heftig kritisiert. Abgesehen davon, dass dieser Gesetzesentwurf nie die Zustimmung des italienischen Parlaments erhielt, war auch dessen Interpretation im Flugblatt des BAS weit übertrieben.

Ganz im Stile anderer terroristischer (bzw. extremistischer oder fundamentalistischer) Organisationen argumentierte auch das BAS-Flugblatt mit Untergangs-Szenarien und erklärte die eigene Entscheidung zur Gewaltanwendung als „Notwehr gegen einen Staat, der  uns unseres Volkstums wegen verfolgt und geistig und physisch vernichten will“.

Parallel zu dieser Flugblatt-Aktion in Südtirol versandte der BAS anlässlich der „Feuernacht“ ein persönliches Schreiben an insgesamt 13 wichtige Persönlichkeiten in Österreich und Südtirol. Unterzeichnet waren alle Briefe mit „Die Südtiroler Freiheitskämpfer“, was man schon als ersten Hinweis deuten kann, dass ihre Verfasser nicht in Bozen, sondern in Innsbruck saßen, denn ein Kerschbaumer hätte sicherlich nur mit „Befreiungsausschuss Südtirol“ unterschrieben.

In diesen Schreiben, die der Funktion des jeweiligen Adressaten entsprechend unterschiedlich gehalten waren, wurde um Verständnis und Unterstützung für die Aktion gebeten. Alle Briefe waren von Generalkonsul Johannes Dengler, dem heimlichen Informanten und Freund des BAS im Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten am Wiener Ballhausplatz, bei seiner Dienstreise von Vaduz/Liechtenstein aus versandt worden. Diese 13 Persönlichkeiten aus den Bereichen Politik, Kirche und Presse waren: Joseph Gargitter, Franz Gschnitzer, Alfons Gorbach, Franz König, Bruno Kreisky, Silvius Magnago, Fritz Molden, Manfred Nayer, Aloys Oberhammer, Bruno Pittermann, Ludwig Steiner, Hans Tschiggfrey und Friedl Volgger.

Es ist nicht bekannt, ob einer der 13 Adressaten jemals das an ihn gerichtete Schreiben beantwortet hat. Der Text einiger dieser Briefe ist auch bis heute nie veröffentlicht worden. Lediglich in zwei Publikationen mit ausgesprochenem „Insiderwissen“ zur Planung der „Feuernacht“, nämlich im Buch „Südtirol und das Vaterland Österreich“ von Felix Ermacora von 1984 und in der 1996 von Otto Scrinzi herausgegebenen „Chronik Südtirol 1959 – 1969“, die sozusagen als die „orthodoxe Lesart“ des „Südtiroler Freiheitskampfes“ gelten kann, wurden insgesamt sieben dieser Briefe veröffentlicht: Jener an J. Gargitter, F. König, B. Kreisky, S. Magnago, F. Molden, L. Steiner und F. Volgger (12).

Selbstverständlich waren alle 13 Briefe von ihrem Inhalt her so abgefasst, dass a priori von einem Gelingen des Plans der „Feuernacht“ ausgegangen wurde: nämlich Lahmlegung der Industriezone Bozen durch die Unterbrechung der Stromzufuhr, als unmittelbare Folge davon Protestaktionen der kommunistischen italienischen Arbeiter sowie der neofaschistischen Partei MSI gegen die deutschsprachige Innenstadt von Bozen mit möglichen bis wahrscheinlichen Krawallen und Zusammenstößen und in der Folge der „spontane Volksaufstand“ der deutschsprachigen Bevölkerung mit der Forderung nach der Selbstbestimmung analog zu den Ereignissen des 01.11.1954 in Algerien. Das in den Briefen entworfene Szenario für die Tage nach der „Feuernacht“ beruhte jedoch auf einer Fehlkalkulation, da infolge Strom- und Produktionsausfall in Bozen und oberitalienischen Regionen sowie die anfallenden Reparaturarbeiten wohl ein  Schaden von einigen Milliarden Lire entstand, der eigentliche politische Plan der „Feuernacht“ dann aber scheiterte.

Aber ganz unabhängig von dieser generellen Fehleinschätzung zeigt sich zumindest an drei dieser insgesamt sieben publizierten Briefe, dass den Verfassern, nämlich den Intellektuellen des BAS in Innsbruck, oft das nötige Fingerspitzengefühl und auch Fachwissen zu Südtirol fehlte. Der peinlichste Fauxpas unterlief ihnen beim Brief an Joseph Gargitter (13), und den Bischof mag wohl der „heilige Zorn“ gepackt haben, als er am 13.06.1961 diesen Brief öffnete und las. Da waren schon Anrede und Adresse nicht korrekt, denn den Titel „Fürstbischof“ hatte Gargitter bei seinem Amtsantritt 1952 als längst obsolet gewordenes Attribut abgelegt, und seinen Amtssitz in Brixen kannte jeder Südtiroler nur unter der Bezeichnung „Hofburg“, aber nicht als „Bischöfliches Palais“. Bei der Behauptung „der Herrgott hat uns aber als Tiroler geschaffen“ hätte Gargitter das Wort „Tiroler“ wohl lieber durch „Menschen“ ersetzt. Auch mit der Aussage, dass bei dieser Aktion „unser Kanonikus Gamper uns vorangehen würde“ dürfte Gargitter nicht einverstanden gewesen sein. Denn nicht umsonst hatte er bei den Gedenkfeiern von 1959 eben das „politische Testament“ Gampers dahingehend ergänzt und interpretiert, dass „Gott zum Bundesgenossen haben wird ein Volk, das sich auf die verbrieften Rechtswege verlässt, keine anderen Mittel gebraucht als die verbrieften Rechtsmittel“. Die Behauptung, die Sprengstoff-Attentate seien weder aus Hass noch mit der Absicht des Blutvergießens erfolgt, sondern seien lediglich ein Handeln „aus Notwehr“, waren für Gargitter sicherlich nicht überzeugend. In seinem Fastenhirtenbrief von 1960:

„Es mag oft scheinen, dass man auf dem Wege der Verhandlungen durch die Zuhilfenahme aller verfügbaren Rechtshilfen nicht vorwärts kommt in der Erstellung der gewünschten Rechtsordnung. Da mag es so herschauen, als ob mit Gewalt und gewaltsamen Unruhen allein das Ziel erreichbar sei“ (14).

Und ohne den BAS direkt beim Namen zu nennen, nichtsdestoweniger für jeden verständlich, hatte Gargitter präzisiert: „Deshalb kann ich allen Katholiken, besonders aber der Jugend, nur mit allem Nachdruck sagen: Es ist euch als Christen nicht erlaubt, Aktionsgruppen oder Bewegungen beizutreten, die zu unerlaubter Gewaltanwendung greifen wollen“.

Der Behauptung des Briefes „Hinter uns steht heute das ganze Land, wie es nie zuvor einig dagestanden ist“ stellte Gargitter also nicht nur die Hoffnung, sondern auch die feste Überzeugung gegenüber, dass die große Mehrheit der Südtiroler Gewalt als Mittel zur Erreichung von politischen Zielsetzungen ablehnen würde.

Ähnlich wie im Falle Gargitters war auch der an Kardinal Franz König gerichtete Brief (15) zweifellos ein boomerang für den BAS. So sehr der Hinweis auf die soziale Benachteiligung der deutschsprachigen Südtiroler korrekt sein und  überzeugen mochte, so war andererseits doch auch hier die Argumentation, dass der Griff zur Gewalt lediglich „aus Verzweiflung und Notwehr“ erfolge, für den Kardinal wohl nicht nachvollziehbar. Völlig deplatziert musste auf ihn die Prognose wirken, die angesichts der vermeintlich tödlichen Gefahr des Überhandnehmens von Faschismus und Kommunismus in Südtirol in Aussicht gestellt wurde: „Aber wer weiß, wie lange wir noch auf deutsch predigen hören werden“. Sofern Kardinal König nicht sogleich selbst von der Realitätsferne oder Abwegigkeit dieser Behauptung überzeugt gewesen sein sollte, hätte zweifellos ein kurzer Anruf bei seinem Amtsbruder in Brixen genügt, um zu erfahren, dass selbst unter dem faschistischen Regime 1922-1943 Religionsunterricht und Predigt immer in deutscher Muttersprache erfolgen durften.

Für den Adressaten gleichermaßen weitgehend inakzeptabel und in seiner Argumentation absurd war der Brief an Landeshauptmann und SVP-Parteiobmann S. Magnago (16). Dass sich die „Freiheitskämpfer“ über das Plädoyer Magnagos für die Landesautonomie und gegen die Selbstbestimmung bei der SVP-Landesversammlung vom Mai 1960 „enttäuscht“ zeigten, war eine Selbstverständlichkeit. Dass mit dieser Position jedoch für Südtirol der Weg zu einer „unheilvollen Entwicklung“ eingeschlagen worden sei, damit konnte Magnago keineswegs einverstanden sein. Und als vollends falsch und absurd musste zweifellos Magnago die Behauptung erscheinen, dass die Selbstbestimmung „eine Forderung des ganzen Volkes ist. Daran können Sie und Ihr Parteivorstand nichts ändern. Sie werden mitgerissen werden, wenn Sie sich nicht selbst an die Spitze der Entwicklung stellen“.

Wahrscheinlich genügte Magnago allein schon die Erinnerung daran, mit welcher Vehemenz und letztlich mit welchem Erfolg er sich im Mai 1960 gegen die Befürworter einer „unheilvollen Entwicklung“ gestellt hatte und nicht „mitgerissen“ wurde, um zu verstehen, dass diese „Südtiroler Freiheitskämpfer“ nicht südlich, sondern nördlich des Brenners beheimatet waren. Allenfalls genügte aber auch schon die Verwendung des in Österreich gebräuchlichen Ausdrucks „Parteivorstand“ an Stelle von „Parteileitung“, um sich zu vergewissern, dass nicht Südtiroler die Verfasser dieses Briefes waren.

Südtirol stand im Juni 1961 vor der Gefahr eines Bürgerkrieges wie in Zypern, Algerien oder Nordirland. Dass es nicht dazu kam, verdanken wir der Tatsache, dass der Plan der „Feuernacht“ gescheitert ist und dass sich innerhalb der italienischen Sprachgruppe des Landes damals nicht eine militante „Gegenbewegung“ (ähnlich wie unter den Zypern-Türken und den Algerien-Franzosen) herausbildete. Nichtsdestoweniger schlitterte die Südtirolpolitik für einige Jahre in das Fahrwasser des von politisch-militärischen Kräften inszenierten Staatsterrors Italiens wie des sich radikalisierenden terroristischen Umfelds pangermanistischer und rechtsextremistischer Kreise in Österreich und Deutschland. Aber verglichen mit anderen Konfliktregionen Europas blieben die Opfer insgesamt relativ gering. Dies erleichterte die Befriedung der Situation durch die 1969 von Seiten der moderaten, kompromissbereiten und realpolitisch orientierten politischen Kräfte in Rom, Bozen, Innsbruck und Wien erreichte Lösung.

 

 

ANMERKUNGEN

 

1 Fasser (2009).

2 Molling (2011), 17.

3 Ebd., 60–61.

4 Ebd., 251.

5 Steininger (2006), 740.

6 Steininger (1999), Bd. 2, 227.

7 Ebd., 236.

8 Sudtiroler Ruf Nr. 12/1959, 1.

9 Steininger (2006), 200–202.

10 Sudtiroler Ruf Nr. 15/Februar 1960.

11 Z. B. in Steininger (1999), Bd. 2, 480.

12 Ermacora (1984); Scrinzi (1996).

13 Ermacora (1984), 459.

14 Gargitter (1960).

15 Ermacora (1984), 460.

16 Vgl. Scrinzi (1996), 194 f.

 

 

LITERATUR

 

Ermacora Felix, Südtirol und das Vaterland Österreich, Wien-München 1984.

Fasser Manuel, Ein Tirol - Zwei Welten. Das politische Erbe der Feuernacht von 1961, Innsbruck-Wien-Bozen 2009.

Franceschini Christoph, Die Welle der Sprengstoffanschläge in Südtirol, in: Anton Pelinka/ Andreas Maislinger (Hg.), Handbuch zur neueren Geschichte Tirols, Bd. 2, Innsbruck 1993, 467–508

Gargitter Joseph, Fastenhirtenbrief 1960, in: Katholisches Sonntagsblatt, Bozen, 1960, Nr. 9-12.

Peterlini Hans-Karl, Südtiroler Bombenjahre.Von Blut und Tränen zum Happy End?, Bozen 2005.

Molling Herlinde, So planten wir die Feuernacht. Protokolle, Skizzen und Strategiepapier aus dem BAS-Archiv, Bozen 2011.

Scrinzi Otto ( Hrsg. ), Chronik Südtirol 1959–1969, Graz 1996.

Steininger Rolf, Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947 – 1969, 3 Bde, Bozen 1999.

Steininger Rolf (Hg.), Akten zur Südtirol-Politik 1959-1969, Bd. 2: 1960 Vor der UNO, Innsbruck-Wien Bozen 2006.

Südtiroler Ruf - Mitteilungsblatt des Bergisel-Bundes, Innsbruck, Jg. 1959–1961.

 

 

ABSTRACT

 

Leopold Steurer

La propaganda nella “lotta di liberazione”

 

Il Befreiungs Ausschuss Südtirols (BAS, “Comitato per la liberazione del Sudtirolo”) perseguiva sia a nord che a sud del Brennero un medesimo obiettivo: la riunificazione del Tirolo. Sui metodi e sugli strumenti da applicare in questa cosiddetta “lotta di liberazione” vi erano notevoli divergenze d’opinione tra Innsbruck e Bolzano. Alla base vi erano anzitutto le sostanziali differenze delle condizioni politiche e giuridiche in cui operavano i suoi membri in Austria e in Italia. Oltre a ciò, vi erano comunque importanti differenze tra i membri del Tirolo del Nord e quelli del Sudtirolo anche sotto il profilo socio-culturale. Sin dall’inizio la posizione del BAS nordtirolese fu dominante nel campo organizzativo, nel reperimento dei finanziamenti e dei materiali. Sul piano della propaganda e della comunicazione il suo ruolo fu addirittura di “tutela”. L’analisi di articoli e volantini rivela inoltre come il linguaggio e gli argomenti di questo lavoro propagandistico fossero spesso inadeguati alla percezione politica e alla realtà del Sudtirolo.