AUTRICE: Martha Verdorfer

RIF. BIBL.: "Der sanfte Revolutionär" in: "FF Südtiroler Illustrierte", 09/2013, p. 53.

 

 

Christoph Hartung von Hartungen (1955-2013)

 

 

 

FÜR CHRISTOPH HARTUNG VON HARTUNGEN

Die Freunde nannten ihn „Hofrat“ und legten in diesen Titel ihre Zuneigung für einen unkonventionellen und humorvollen Menschen, der wegen seines umfangreichen Wissens und seiner sozialen Intelligenz immer auch Autorität war. Christoph Hartung von Hartungen war ein ganz besonderer Mensch.

Als Historiker war er über die Landesgrenzen hinaus bekannt, vor allem im Trentino hatte er zahlreiche wissenschaftliche Bezugspunkte und pflegte viele Freundschaften zu FachkollegInnen, die ihm sehr wichtig waren. Manche meinten, Christoph sei eher zum Wissenschaftler berufen als zum Lehrer. Er hat aber gezeigt und vorgelebt, dass Wissenschaft und Vermittlung untrennbar zusammengehören.

Christoph war ein Historiker von hohem wissenschaftlichen Niveau mit breit gefächertem Wissen. Er kannte sich nicht nur in allen Epochen der Geschichte aus, dem Mittelalter und der Neuzeit ebenso wie in der Zeitgeschichte, sondern genauso in der Literatur- und Wirtschaftsgeschichte, in der Religions- und Philosophiegeschichte und nicht zuletzt in der Militärgeschichte. Er stellte sich historische Fragen immer vor diesem weiten Horizont, er war ein bedächtiger und genauer Historiker, die Differenzierung war ihm Pflicht – vereinfachende und pauschale Urteile konnten den sonst so ruhigen und friedliebenden Christoph in Rage bringen. Christoph publizierte in zahlreichen wissenschaftlichen Zeitschriften und wirkte an vielen Buch- und Ausstellungsprojekten mit, er war außerdem Autor und Mitherausgeber diverser Dorfbücher. Er war bei Podiumsdiskussionen und Vorträgen auf universitärer Ebene genauso zu Hause wie in dörflichen Vereinslokalen, denn es ging ihm stets um die Sache, nicht um den Rahmen.

Sein Wissenschaftsverständnis war ein zutiefst demokratisches: Es war für ihn selbstverständlich, dass Wissenschaft vermittelbar sein und dass Wissen weitergegeben werden muss. Streng war er in den Ansprüchen an die Wissenschaft oder besser an die Wissenschaftler. So konziliant er sonst war, diesbezüglich hatte seine Toleranz Grenzen.

Mit der gleichen Leidenschaft, mit der er als Historiker forschte und schrieb, war er auch Lehrer. Er war ein kritischer und widerständiger Vertreter dieser Berufsgruppe. Als Kollege und Gewerkschaftsvertreter war er gut informiert und hatte – obwohl er ein Vielbeschäftigter war – immer ein offenes Ohr für Probleme von KollegInnen.

Den SchülerInnen bot er sein umfassendes Wissen an, er zwang es ihnen nicht auf und ich glaube, die allermeisten von ihnen haben früher oder später begriffen, welch‘ ausgezeichneten Lehrer sie an ihm hatten. Einen Lehrer zudem, mit dem man auch über vieles andere sprechen konnte, nicht nur über Geschichte und Philosophie.

Er setzte sich immer für die Schule ein und war immer da, wenn er gebraucht wurde. Er hat aber auch unter der Schule gelitten: unter einer Schule, in der überbordende Bürokratie und Verwaltung den Druck auf Lehrpersonen und SchülerInnen verstärken, unter einer Schule, die seiner Meinung nach, in Gefahr geriet, das Allerwichtigste, nämlich die Menschen, aus dem Blick zu verlieren.

Lehrer war Christoph auch außerhalb der Schule: Als Referent in der Erwachsenen- und in der LehrerInnenfortbildung hatte er einen ausgewiesenen und nicht kleinen Fanclub.

Christoph hat seinen Überzeugungen immer wieder auch einen politischen Ausdruck gegeben: als Gewerkschafter, als Präsident des Landesschulrates, als Kandidat der Sozialdemokraten zuerst und als Gemeinderat der Grünen in Bozen später. So versunken er in der Tessmann in einem Buch lesen konnte, so feurig konnte er auch bei einer Sitzung seine Meinung vertreten.

Alle, die ihn kannten, erinnern an Christoph zuerst seine Freundlichkeit und Großzügigkeit. Er mochte die Menschen und war neugierig auf sie, auch wenn sich ihre Meinungen von den seinen völlig unterschieden. Christoph hat seine Standpunkte immer konsequent vertreten, aber er hat dabei nie jemanden verletzt oder klein gemacht.

Bei unserem letzten Rodelausflug hatte Christoph eine rote Mütze auf, wir haben sie natürlich sofort als Jakobinermütze bezeichnet. Er hat es mit seinem verschmitzten Lächeln quittiert. Im Alltagsleben trug er Krawatte. Ja, das war er: ein sanfter Revolutionär mit Krawatte.

Lieber Christoph, du wirst so vielen Menschen unendlich fehlen. Ohne dein Lächeln ist es ein bisschen finsterer geworden.

Martha Verdorfer