Edition Raetia
 

Nella recente pubblicazione dedicata alle opzioni sudtirolesi del 1939 lo storico Leopold Steurer affronta, tra gli altri temi, la ricezione dell'accordo di Berlino tra l'Italia fascista e la Germania nazista sulla stampa e in generale nell'opinione pubblica estera. A questo proposito riproduce un volantino antinazista scritto da Heinrich Mann (1871-1950), fratello di Thomas, che dal 1933 si era rifugiato in Francia. Il volantino, distribuito clandestinamente nel Reich, appariva da un lato come un normale prospetto turistico sulle Dolomiti. Sull'altro lato riproduceva un testo di denuncia della cinica operazione che Hitler si apprestava a compiere sulla pelle dei sudtirolesi.

 

Autore: Leopold Steurer

Rif. bibl.: Pallaver, Günther/ Steurer, Leopold (Hrsg.), Deutsche! Hitler verkauft euch! Das Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol, Edition Raetia, Bozen 2010, pp. 124-131.

 

Hitler reißt ein ganzes Volk aus seinem Boden:
die Flugschrift von Heinrich Mann

Ende Juli 1939 meldete sich in Frankreich eine gewichtige Stimme der deutschen
Emigration zur geplanten Umsiedlung der Südtiroler zu Wort: Heinrich Mann. Als
einer der ersten oppositionellen Intellektuellen war er, so wie etwa auch Albert
Einstein, bereits 1933 von den Nazis ausgebürgert worden. 1939 lebte er in Marseille
und verfasste nunmehr in der „Schriftenreihe des Aktionsausschusses deutscher
Oppositioneller“, zu deren offiziellem Sprecher er gewählt worden war, eine
Flugschrift mit dem vielsagenden Titel „Deutsche! Hitler verkauft euch!“. Der Text
der Flugschrift wurde in mehrere Sprachen übersetzt (ins Englische, Französische,
Niederländische …) und im August 1939 in voller Länge oder auszugsweise in
verschiedenen Zeitungen Frankreichs, Englands, Belgiens, Hollands, der Schweiz
und Amerikas abgedruckt und als Sonderdienst von der Zeitschrift Deutsche
Informationen in Paris publiziert.
Als illegale Tarnschrift mit dem Titel „Die Dolomiten – Fahrpreisermäßigung – Das
Paradies des Alpinismus, der Hochgebirgskuren, des Sommer- und Wintersports –
Hundert Ferien- und Touristenstationen mit über 40.000 Betten“ auf dem Deckblatt
wurde diese Flugschrift im süddeutschen und österreichischem Raum in
Zügen, Hotels, Restaurants und Fremdenverkehrseinrichtungen verteilt.

T.Mann, Flugschrift 2T. Mann, Flugschrift 3

Heinrich Mann kannte Tirol und Südtirol recht gut. Seit 1893 lebte der Schriftsteller
ohne festen Wohnsitz, zwischen Berlin, München, Italien und Frankreich hin- und
herpendelnd. Dabei besuchte er auch Südtirol. Der aus Wien nach Tirol übersiedelte
Arzt Christoph Hartung von Hartungen hatte in Riva am Gardasee eine Naturheilanstalt
errichtet, in der vor allem in den Wintermonaten angesichts des milden
Klimas Angehörige aus dem gehobenen Bürgertum und aus Adelskreisen der
gesamten Monarchie gerne ihre Ferien beziehungsweise ihren Kuraufenthalt verbrachten.
Als Ableger davon hatte von Hartungen 1903 in der Nähe des damals
bekannten Arsen-Wasserbades Mitterbad bei St. Walburg im Ultental, wo er als
Bade- und Kurarzt tätig war, die Villa Hartunghausen als Ferienaufenthalt für seine
Kurgäste in den Sommermonaten errichtet. Heinrich Mann kam 1893 zum ersten
Mal zu einem Kuraufenthalt ins Ultental, im Sommer 1901 verbrachte er erneut,
diesmal zusammen mit seinem Bruder Thomas, einige Wochen in Bad Mitterbad
und einige Male war er auch Kurgast in der Villa Cristoforo des Dr. von Hartungen
in Riva am Gardasee. Sowohl bei Heinrich wie Thomas Mann haben in einigen
ihrer Romane beziehungsweise Gedichte diese Aufenthalte in Tirol Erwähnung
gefunden.

Diese Flugschrift Heinrich Manns zu Südtirol ist in seiner literarischen Form ein
großartiges und beeindruckendes Dokument der Anklage, des Protestes und der
pamphletartigen Denunziation der Machenschaften Hitlers, und reiht sich damit
würdig ein in die Reihe anderer derartiger Dokumente des Dichters. Dennoch
bedürfen einige Textpassagen inhaltlicher Natur einer Ergänzung und Erklärung.
Was an diesem Text in Anbetracht der ansonsten üblichen Topoi und Stilelemente
des linksliberalen Großstädters und Bildungsbürgers Heinrich Mann auffällt, ist
zweifellos ein gewisses Pathos in der Sprache. Aber diese Identifikation der Tiroler
mit konservativen Werten wie Hochschätzung der Tradition, Bauerntum und
Religion gehörte offenbar generell zum Kanon des kulturhistorischen Wissens im
deutschsprachigen Bildungsbürgertum des 19. und 20. Jahrhunderts. Dass eine
derartige Aussage aber nichts mit dem völkisch-braunen Zungenschlag der
politischen Rechtskreise Deutschlands zu tun habe, wird von Heinrich Mann dann
ja auch sogleich und explizit klargestellt. Denn neben der Erwähnung der „christlich-
deutschen Kultur“ und der jahrhundertealten „deutschen Bauerngeschlechter“
des Landes wird ebenso ausdrücklich betont, dass die Südtiroler deshalb nicht etwa
im Sinne eines „rassenmäßig arischen Stammes“ nach der Art der Blut-und-Boden-
Ideologie des Nationalsozialismus anzusehen sind. Dies zum einen wegen der
„Vermischung“ der verschiedenen Völkerschaften, die von der Antike bis zur
Gegenwart durch und über dieses „Land im Gebirge“ gezogen sind, und zum anderen
weil er aus eigener Anschauung und Erfahrung her zur Genüge wusste, dass im
damaligen Kronland Tirol italienisch- und deutschsprachige Menschen oft auch auf
geografisch engstem Raum nebeneinander lebten. Ganz konkret dürfte Heinrich
Mann dabei an das deutschsprachige Ultental und das benachbarte italienischsprachige
Nonstal gedacht haben, deren vielfältige Beziehungen zueinander
(Handel, gemeinsame Almen, Arbeitsmigranten aus dem Nonstal etc.) er von seinen
Kuraufenthalten, Wanderungen und Gesprächen mit der einheimischen Bevölkerung
zweifellos gut kannte.
Von dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten Mythos um den
Geburtsort des Walther von der Vogelweide mit seiner deutschnationalen, sowohl
anti-katholischen wie anti-italienischen Stoßrichtung scheint Heinrich Mann wenig
gehalten zu haben, denn er sagt lediglich, dass der Minnesänger zwar wohl hier
„einst vorbeigegangen“ sei und „über die Tür gegrüßt“ habe – aber eben nicht
unbedingt hier auch geboren worden sei.
Im Zentrum des Textes steht die Anklage gegen den zynischen Schacher und
kaltblütigen Handel Hitlers mit „Sachen und Menschen“, der – in richtiger und
teilweise geradezu prophetischer Weise – mit den imperialistischen Kriegsplänen
des Dritten Reiches in Verbindung gebracht wird. Die Erinnerung an den
Menschen handel absolutistischer Fürsten des 18. Jahrhunderts bezog sich auf den

„Söldner-Handel“ Friedrichs II., des Landgrafen von Hessen-Kassel, und dessen
Schilderung in Friedrich Schillers Drama „Kabale und Liebe“ (2. Akt, 2. Szene) als
eines Musterbeispiels menschenverachtender Politik. Der Unterschied dazu bestehe
lediglich in der quantitativen Steigerung des „Handelsvolumens“, denn Hitler
fange nicht mehr, wie es noch im 18. Jahrhundert der Fall war gewesen war,
„einzelne Rekruten ab“, sondern reiße gleich „ein ganzes Volk aus dem Boden“.
Getäuscht hat sich Heinrich Mann freilich in Bezug auf das, was die materielle, die
finanziell-ökonomische Seite der Umsiedlung der Südtiroler in der Optik des
Dritten Reiches anlangte, wenn er glaubte, dass Hitler „… die Sachen und die
Menschen […] nicht für Geld“, sondern für „einen Freihafen in Triest“ und damit
„für eine Handvoll Wasser“ verkauft habe. Dass es dem Dritten Reich bei der
Umsiedlung der Südtiroler sehr wohl auch um die Realisierung ganz konkreter materieller
Interessen ging (Arbeitskräfte für Industrie und Landwirtschaft,
„Menschenmaterial“ für die Siedlungspolitik in den eroberten Gebieten, Millionenbeträge
in Lire durch den italienischen Staat als Ablösesumme für den Immobilienbesitz
der Umsiedler), all dies überstieg offensichtlich bei Weitem selbst die kühnsten
Überlegungen und die Vorstellungskraft des Autors und war zum Zeitpunkt der
Niederschrift der Flugschrift freilich auch noch nicht so leicht vorhersehbar.
Wenn daher Heinrich Mann mit seiner zynischen Formulierung glaubte aussagen
zu können, dass mit der Umsiedlung der Südtiroler „die Überlieferung der vergangenen
Fürsten und Menschenhändler glücklich wieder hergestellt“ worden sei, so
muss man ergänzen, dass seine Befürchtungen angesichts der millionenfachen
Umsiedlungs- und Vertreibungspolitik des Dritten Reiches 1939–1945 bei Weitem
übertroffen wurden.

Dagegen war Heinrich Mann der Meinung, dass sozusagen als Kompensationsgeschäft
und Gegenleistung für das Entgegenkommen Hitlers in der Südtirolpolitik
durch die Umsiedlung Mussolini zur Abtretung Triests als „Freihafen“ bewogen
werde. Dies erklärt sich aus den Diskussionen und Spekulationen, die seit dem
Anschluss Österreichs kontinuierlich in der Presse und Diplomatie Frankreichs und
Englands stattfanden und die Heinrich Mann offenbar übernahm. Das Verschwinden
Österreichs mit seiner Funktion als einer Art „Pufferstaat“ zwischen den beiden
Achsenpartnern durch den Anschluss vom März 1938 und der nunmehrigen gemeinsamen
Grenze am Brenner und bei Tarvis hatte in Italien bei einflussreichen
militärischen und politischen Kreisen, die bis weit in die faschistische Partei
hinein reichten, große Besorgnis ausgelöst. Diese Besorgnis hatte ihren Grund in der
nunmehr befürchteten direkten Einmischung Berlins in die Südtirolfrage sowie
eines verstärkten politischen und wirtschaftlichen Drucks des Dritten Reichs in
Richtung Adria. Dass mit dem Anschluss Österreichs Mussolinis Prestige und
Position in Europa wie in Italien selbst eine Einbuße erlitten und seine Zustimmung
zu diesem Ereignis eigentlich nur als „gute Miene zum bösen Spiel“ gedeutet
werden könne, dies war die einhellige Meinung der diplomatischen Kreise und der
Presse in allen westlichen Ländern gewesen. So hatte etwa der französische Konsul
in Venedig am 29. März 1938 dem Außenministerium in Paris mitgeteilt, diese
Befürchtungen eines baldigen deutschen Vorstoßes in Richtung Triest und Adria
fänden bereits in Witzen ihren Niederschlag: Personen, die nach Triest fahren,
würden gefragt, ob sie denn auch Reisepass und Reichsmark bei sich hätten. Diese
Spekulationen über die außenpolitische Zielsetzung Berlins nach einem Freihafen
in Triest waren auch nach der Annexion der sudetendeutschen Gebiete vom
September 1938 durch das Dritte Reich und dem Einmarsch der Wehrmacht in
Prag vom März 1939 in der Presse Frankreichs und Englands nie mehr verstummt
und so ist es verständlich, dass Heinrich Mann im Sommer 1939 der Meinung war,
der Zeitpunkt dafür sei nunmehr endgültig gekommen. Eben aus der Kenntnis
dieser durchaus realistischen Beurteilungen durch die westliche Presse, der zufolge
das faschistische Italien seit dem März 1938 gegenüber seinem deutschen
„Achsenpartner“ eigentlich immer nur den Part des Verlierers gespielt habe,
bezeichnete Heinrich Mann in seinem Text denn wohl auch Italien als den „Vertragsgegner“.

 

T. Mann, Flugschrift 4