Critica discussione dello storico Leopold Steurer riguardo al film documentario "Südtirol: Ueberlebenskampf zwischen Faschismus und Option" prodotto dall'ORF e dalla RAI-Sender Bozen per la regia di B. Mosser (2009)

 

 

Autore: Leopold Steurer

Rif. bibl.: Steurer, Leopold, Deutsches Opfer, welscher Täter, in: "FF. Das Südtiroler Wochenmagazine", 2009, n. 28, pp. 42-45

 

 

Deutsches Opfer, welscher Täter

 

 

Leopold Steurer

 

Vorgestellt wurde der Film der Wiener Journalistin B. Mosser-Schuöcker, noch bevor er im Rai-Sender Bozen ausgestrahlt wurde, unter Beteiligung von viel Politprominenz von der Silvius-Magnago-Stiftung im Bozner Filmclub. Womit wohl so etwas wie eine offizielle, parteiamtliche Approbation zu verstehen war.
Nach der pauschalen Falschetikettierung aller Sprengstoffattentäter der 60er-Jahre als „Freiheitskämpfer” durch die SVP-Landtagsfraktion nun auch der Versuch einer Revision der Sichtweise von Faschismus and Nationalsozialismus durch die Rückkehr zur penetranten and verlogenen Larmoyanz einer kollektiven Opfertheorie?
Insofern, als er im Jahr der Hofer-Hochkonjunktur die folgenschweren Ereignisse und Entwicklungen der Optionszeit in Erinnerung ruft, ist der Film eine lobliche Initiative. Widerspruch statt Anerkennung verdient er hingegen für die unzulässig simplifizierende Darstellung der komplexen Zusammenhange jener Zeit sowie für die Fülle an inhaltlichen Mängeln and Unausgewogenheiten.
Bereits der Titel des Films deutet seinen Tenor an and suggeriert die ausschließliche Opferrolle der Südtiroler unter dem Faschismus and während der Option. Diese Interpretation ist eine, spätestens seit der Optionsausstellung von 1989, von der wissenschaftlichen Forschung überholte These.
Bei der Darstellung der Zwischenkriegszeit legt die Regie den Akzent fast ausschließlich auf die faschistische Schulpolitik, sodass der Eindruck entsteht, es führe von der italianisierten Schule ein direkter Weg zur Option. In diesem Sinne wird mit Bezug auf die Interviewpartnerin Rosi Haas formuliert, der Faschismus habe „sie aus dem Land vertrieben”. Nun war die Schule zweifellos ein vorrangiges Ziel faschistischer Repressionspolitik, und umgekehrt war die von Kanonikus Gamper initiierte Katakombenschule die wichtigste Widerstandsaktion gegen Faschismus in Südtirol überhaupt.
Dennoch war die Schule bei Weitem nicht der einzige Bereich, in dem das Regime mit seinen Assimilierungsbestrebungen ansetzte. Professor Steininger deutet die Bandbreite der schwarzen Unterdrückung in seinen Erläuterungen an, in der Dramaturgie des Films gehen die Aussagen des Innsbrucker Professors gegenüber den lebhaften and authentischen Erlebnisberichten der Südtiroler Zeitzeugen aber nahezu unter. Daraus ist den interviewten Personen kein Vorwurf zu machen: Nicht ihre Aufgabe ist es, Interviews zu einer präzisen Aussage zu montieren, sondern die Aufgabe der Regie.
Und diese ordnende Hand der Regie, die Unwesentliches weglässt and Wichtiges in Szene setzt, fehlt fast völlig, handelt es sich doch zumeist um emotionale und sich oft wiederholende Aussagen, die nichts Neues darstellen.

Optanti sudtirolesi in partenza per il Reich (Archivio Prov. Bolzano)

Generell ist unbestritten, dass die Erfahrungen mit der faschistischen Unterdrückungs- und Entnationalisierungspolitik seit 1922 ein wichtiges Motiv für viele Südtiroler Optanten des Jahres 1939 bildeten. Warum aber die Dableiber, die mit derselben faschistischen Politik konfrontiert gewesen waren, im Jahr 1939 eine andere Entscheidung trafen, wird überhaupt nicht thematisiert and bleibt vollkommen offen.
Dafür passt es ganz zum wiederkehrenden Filmmotiv „deutsches Opfer, welscher Täter”, wenn die Regie auch noch die politische Verantwortung für die Idee der Umsiedlung bis zur Berliner Konferenz vom 23. Juni 1939 einseitig and ausschließlich dem italienischen Faschismus anlastet. Entsprechende Äußerungen und Pläne von deutscher Seite bleiben einfach unerwähnt.
Ähnliches gilt für die Ziele, die das faschistische Italien and das nationalsozialistische Deutsche Reich mit Option und Umsiedlung verfolgten: Während dem Zuseher klar and verständlich vermittelt wird, dass Italien damit aus Südtirol endgültig eine rein italienische Provinz machen wollte, bleiben die diesbezügliche Zielsetzungen des Dritten Reiches weitestgehend ungeklärt. Die Umsiedlung der Südtiroler wird nicht eingebettet in den größeren Zusammenhang an aller anderen Umsiedlungen „volksdeutscher Minderheiten”, wobei die „Baltendeutschen“ aus Estland and Lettland ja schon im Oktober 1939, also noch vor den Südtirolern, zwangsumgesiedelt wurden und diese Tatsache bei der gesamten Diskussion um „Bleiben oder Gehen” in Südtirol damals eine Rolle spielte.
Defizite, Verkürzungen, Lücken Falschaussagen weist der Film aber in seiner Darstellung des Optionsgeschehens selbst und seiner Folgeentwicklungen auf. Die Motive werden nur einseitig aus der Sicht der Deutschland-Optanten präsentiert. Sämtliche Interviewpartner stammen aus dem Lager der Deutschland-Optanten und die „Brennende Lieb'” ausschließlich als Symbol für die „verlorene Heimat” hingestellt. Dem Auswanderer-Gedicht von Karl Felderer (,,...die Treue zu Deutschland war stärker...“ wird nicht einmal das Dableiber-Gedicht von Hans Egarter („ ... die Treue zur Heimat war stärker ... ") gegenübergestellt - was das Minimum an Information über die unterschiedlichen Motive der beiden Gruppierungen gewesen wäre.
Der Kampf zwischen Optanten and Dableibern wird zwar erwähnt, indem etwa kommentiert wird: „Die Südtiroler zerfleischen sich selbst. Es gibt keinen physischen Zwang, keine Waffengewalt, doch der Leidensdruck der Menschen ist enorm.” Die Unzulänglichkeit derartiger Aussagen mutet geradezu zynisch an: Kein Wort verliert der Film darüber, welches Klima der Angst and des sozialen Terrors der VKS schuf in seinem Bestreben, ein möglichst hundertprozentiges Optionsergebnis zu erzielen.
Kein Wort darüber, welchen Anfeindungen and gewalttätigen Übergriffen von Seiten fanatisierter Optanten die ausgegrenzte, kleine Minderheit der „Dableiber” vielfach ausgesetzt war, weil sie sich der NS-Logik von der angeblich notwendigen „Rettung des Volkstums” durch die Auswanderung widersetzte. Einzig gelungen ist hier die Darstellung der Konflikte innerhalb von Familien mit der bildhaften Erzählung von Sepp Innerhofer über die Auseinandersetzung seines Vaters und dessen find Brüdern zur Frage ihres Optionsverhaltens und die darauf folgende Spaltung der Familie.

Nicht nur irreführend, sondern eine Verfälschung des Sachverhaltes ist die Interpretation der Option als eine Entscheidung zwischen „Heimat” (Dableiber) and „kultureller Identität” (Deutschland-Optanten). Die Optionsentscheidung durch die Unterzeichnung des orange-roten bzw. des weißen Formulars betraf nämlich den Beibehalt oder den Wechsel der italienischen Staatsbürgerschaft und die mit diesem Schritt für die Zukunft verbundenen, befürchteten oder erhofften, auf jeden Fall sowohl für „Dableiber” wie such „Geher”, unsicheren Konsequenzen.
Die Dableiber erklärten, die italienische Staatsbürgerschaft behalten zu wollen, während die Geher „unwiderruflich” erklärten, „die deutsche Reichsangehörigkeit annehmen und in das Deutsche Reich abwandern zu wollen”. Die Behauptung, die Dableiber hätten sich mit diesem Schritt gegen ihre „kulturelle Identität” entschieden, ist historisch schlichtweg falsch und gibt nichts anderes als die Argumentation der politischen Propaganda des Völkischen Kampfringes Süddtirols wider. Wollte man derartige Fehlleistungen nicht der mangelnden Sachkompetenz der Filmverantwortlichen zuschreiben, müssten sie als infame Unterstellungen zurückgewiesen werden.
Der NS-Propaganda, die Option für das Dableiben bedeute einen „Verrat am deutschen Volk”, ein „Aufgeben des deutschen Volkstums” etc. haben die Dableiber dezidiert widersprochen, und wer auch nur in Ansätzen die politischen Ideen der wichtigsten Vertreter der Dableiber (etwa von Kanonikus Michael Gamper, Friedl Volgger, Erich Amonn, Hans Egarter, Josef Mayr-Nusser, Hochw. Josef Ferrari) kennt, weiß, dass für sie die Begriffe „Heimat” und „kulturelle Identität” keine Gegensätze waren, sondern vielmehr untrennbar zusammengehörten.
So etwa heißt es in den Flugblättern der Dableiber von 1939 gegen diesen Vorwurf ganz explizit:
„Nun ist es auch an den Letzten, die Entscheidung zu fällen. Sie geht um Auswanderung oder Verbleib im Lande, um Heimat oder Fremde. Die Wahl kann nicht schwer fallen (..) Geht darum hin und legt Zeugnis ab für die Heimat durch die Abgabe des weißen Stimmzettels. Man hat diese Stimme zu fälschen versucht, indem man ihr böswillig den Sinn unterlegt, sie sei ,welsch’ gestimmt. In Wirklichkeit steht aber nichts anderes auf dem weißen Stimmzettel geschrieben, als dass Ihr die italienische Staatsbürgerschaft beibehalten wollt. Und dies ist Euch unerläßlich, wenn Ihr weiter in diesem Lande leben und arbeiten wollt, genauso wie Millionen anderer Volksdeutscher, die außerhalb des Reiches leben, eine fremde Staatsbürgerschaft nötig ist”.
Und weiters: „Wenn Ihr geht, dann wird man in zehn Jahren den Namen Deutsch-Südtirol nur mehr in Geschichtsbüchern lesen. Je mehr Deutsche in der Heimat verbleiben, desto größer ist die moralische Macht, die wir besitzen, umso leichter werden wir unsere bisherigen Rechte behaupten (. . .) Es ist kein Verrat am Deutschtum, wenn wir in der Heimat bleiben. lm Gegenteil. Die nachkommenden Generationen werden es uns danken. Oberlegt es Euch gut, ehe Ihr unterschreibt (. ..) Wenn Ihr ganz nüchtern nachdenkt, werdet Ihr euch sagen müssen: Von zwei Übeln wähle ich das kleinere. Wir bleiben daheim!”
Angesichts dieser gravierenden Mängel bleiben die historische Wahrheit, aber
auch das Publikum auf der Strecke: zentralen Motive, Hoffnungen, Befürchtungen, die Argumente ökonomisch und ideeller Natur sowohl der Mehrheitsgruppe um den Völkischen Kampf Südtirols wie auch der Minderheitsgruppe um den Deutschen Verband werden nicht klar gegenübergestellt, eine korrekte und für den Zuseher verständliche Darstellung der Auseinandersetzung um die Optionsentscheidung ist im Film leider nicht vorhanden.
Auch bleibt die zentrale Rolle der Kirche und der deutschsprachigen, katholischen Presse vollkommen ausgeblendet, die Optionsentscheidung des Klerus wird mit keinem Wort erwähnt.
In einigen Interviewpassagen wird schließlich die Erfahrung der Fremdheit, die Auswanderer in ihrer „neuen Heimat” im Gau Tirol-Vorarlberg machten, anschaulich vermittelt. Nicht nachvollziehbar ist allerdings die Entscheidung, die Geschichte der Option ausschließ1ich in die Geschichte der Umsiedlung nach Nordtirol münden zu lassen.

Giovani optanti in partenza da Bressanone (Coll. F. Oberkofler)

Als Konsequenz daraus bleibt unerwähnt, dass viele Hunderte von Umsiedlerfamilien auch in die von den Nazis eroberten Gebiete etwa Luxemburgs, der Tschechoslowakei, der Südsteiermark und Südkärntens kamen, wo sie oft auf den, der vertriebenen einheimischen Bevölkerung enteigneten Besitzungen mit dem Ziel der „Eindeutschung” dieser Gebiete angesiedelt wurden.
Auch die Entwicklung in Südtirol selbst für den gesamten Zeitraum 1940-1945 bleibt ausgeblendet. So wird die Rolle des im November 1939 gegründeten „Andreas-Hofer-Bundes” als Organisation der Dableiber, die sich 1943-45 infolge ihrer Kontakte zu den alliierten Stellen in der Schweiz zu einer politisch bedeutenden Widerstandsorganisation entwickelt, mit keinem Wort erwähnt. Ebenso übergangen werden die 20 Monate der „Operationszone Alpenvorland” vom September 1943 bis Mai 1945, als unter der Patronanz des Gauleiters Franz Hofer überall in Südtirol die Funktionäre der ADO die politische Macht übernahmen, während die führenden Köpfe der Dableiber wegen ihrer Entscheidung von 1939 verfolgt, zum Tell eingesperrt bzw in die Konzentrationslager verschickt wurden und SS-Brigadeführer K. Brunner, seit 1939 als Vertreter Himmlers in Bozen tätig, bereits am 12.09.1943 den Befehl erteilte, „sofort dafür Sorge zu tragen, daß die im dortigen Bereich sich aufhaltenden Volljuden umgehend in Haft genommen werden”.
Wer wundert sich angesichts solcher kurzgestrickter und selektiver Vermittlung historischer Information, dass es in Südtirol immer noch Leute gibt, die den 8. September 1943 und nicht den 25. April 1945 als „Tag der Befreiung” bezeichnen?
Die politische Zielsetzung der Registrierung des gesamten „geistig-kulturellen Erbgutes“ der Südtiroler unter zum, strikt ideologisch-selektivem Vorzeichen (und dies hieß: möglichste „Ausmerzung dessen katholischer Aspekte zugunsten einer bewussten Hervorhebung arisch-germanischer Wurzeln) war nämlich dessen Überführung in die „neue Heimat des „geschlossenen Siedlungsgebietes“. Und dieses verlagerte sich sukzessive mit den Eroberungen der Nazis und nach den Plänen Himmlers angefangen vom „böhmisch-mährischen Raum” vom Mai 1939, ins „südpolnische Beskidengebiet“ vom Oktober 1939, über das französisch-sprachige Burgund vom Juni 1940 bis zur Halbinsel Krim von 1942.
Ideell und räumlich in bewusster Frontstellung gegen die bisherige Kultur des „politischen Katholizismus” in der „alten Heimat Südtirol” sollte also das „Haus der Heimat” im geschlossen Siedlungsgebiet zum zentralen Ort der neuen „artgemäßen” und „völkischen“ Feierkultur der Südtiroler Volksgruppe als Teil der NS-Volksgemeinschaft in der „neuen Heimat” werden. Dies war es eben, was sich damals so manche Südtiroler als gläubige Anbeter des braunen Wotanskultes unter Wahrung der „kulturellen Identität” vorstellten.
Aber selbst wenn der Film inhaltlich nichts Neues bringt, so dürfte man sich von einer „Dokumentation” doch wohl zumindest eine wesentlich sorgfältigere und kompetentere Darstellung unserer Zeitgeschichte erwarten. Option und Umsiedlung sind nach wie vor heikle Themen, das „leidvollste Kapitel” in der Geschichte der Südtiroler, wie Prof. Steininger gleich eingangs treffend festhält. Zudem ist diese Produktion nicht aus privater Laune, sozusagen nach Feierabend im Hobbykeller entstanden, sondern wurde vom Land Südtirol, den Bundesländern Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg sowie dem Bundesministerium für Unterricht und Kunst in Wien finanziert und unter der Redaktion des Koordinators des Rai-Senders Bozen, Markus Perwanger, hergestellt.

Das Ergebnis ist beschämend dürftig. Und vor allem auch enttäuschend angesichts der Tatsache, dass der Rai-Sender Bozen unter der fachkundigen und verantwortungsbewussten Leitung eines Franz von Walther und Hansjörg Kucera schon vor Jahren unter noch schwierigeren Bedingungen viel qualitätsvollere Produkte zur Südtiroler Zeitgeschichte in Gang brachte.
Der Film endet mit dem Marsch der Schützen durch das nächtliche Bozen sowie mit Aufnahmen des faschistischen Siegesdenkmals. Dazu erfährt der Zuseher, dass faschistische Relikte und der Wunsch nach Selbstbestimmung auch heute noch zu Konflikten zwischen Südtirolern und Italienern führen würden. Bis zuletzt also verzichtet die Regie konsequent auf Ausgewogenheit, und als Dank für die Unterstützung durch den Schützenbund übernimmt sie dessen als „antifaschistische Aktion” getarnten Los-von-Rom-Parolen.
Denn so angebracht es sein mag, über faschistische Denkmäler zu diskutieren und einen zeitgemäßen Umgang mit ihnen zu finden, so sicher ist es auch, dass vor allem jene über diese „Relikte” streiten, die von ihnen gestört werden wollen.
Und den Wunsch nach Selbstbestimmung haben nicht nur Teile der Bevölkerung, sondern alle, weil wir alle über unsere eigene Zukunft gerne selbst bestimmen möchten. Dass dieser Film den Begriff „Selbstbestimmung” offenbar mit nur einer ganz bestimmten Variante dieser Forderung gleichsetzt, hat nichts mit „Dokumentation” zu tun, sondern ausschließlich mit politischer Propaganda.