AUS/DA:

Universität Wien - Diplomarbeit:

Bleierne Jahre in Südtirol – Literarische (Re-) Konstruktionen der Sprengstoffanschläge

VERFASSERIN/ AUTRICE: Tanja Raich

angestrebter akademischer Grad - Magistra der Philosophie (Mag.phil.) - Wien, im Mai 2012

Betreuer: Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Johann Sonnleitner

 

 

INHALTSVERZEICHNIS / SOMMARIO

 

1 EINLEITUNG

 

2 DIE „BOMBENJAHRE“ IN SÜDTIROL:

URSACHEN, HINTERGRÜNDE UND NACHWIRKUNGEN

2.1 Vorbedingungen

2.2 Erste Anschläge

2.3 Sigmundskron und die Anfänge des BAS

2.4 Mit Gewalt zur Selbstbestimmung

2.5 Die Folgen der „Feuernacht“

2.6 Der Kampf geht weiter: Verhaftungswellen und Unterwanderung

2.7 Das „Paket“ und die Anschläge von „Ein Tirol“

 2.8 Zwischen „Freiheitskampf“ und Terrorismus

2.8.1 Terror und Terrorismus

2.8.2 Terrorismus und seine Definitionsschwierigkeiten

2.8.3 Die Südtiroler „Bumser“ und deren einfallsreiche Benennung

2.9 (Historiker-)Debatten und Kontroversen

2.10 Politische Instrumentalisierung: Das Erbe von Georg Klotz

 

 

3 TERRORISMUS UND LITERATUR

3.1 Gewalt und Literatur im Wechselspiel: Faszination Terrorismus

3.2 Terrorismus und Literatur in der Gesellschaft

3.3 Schwierigkeiten beim Schreiben über Terrorismus

3.4 Terrorismus als Zeitgeschichte

 

 

 

4 EINE LITERARISCHE BILANZ: 1957 – 2011

4.1 1957: „Europa ruft Rom!“ – Eine Vorankündigung

4.2 Erste Reaktionen nach 1961

4.3 Ruhe nach dem Sturm? Das Schweigen der 1970er und 1980er Jahre

4.4 Der Einfluss der historischen Forschung auf die Literatur der 1990er

Jahre

4.5 Die literarische Konjunktur nach 2000

4.6 Gli anni neri del terrorismo – Bombenjahre auf Italienisch

4.7 Resümee

 

 

5 LITERARISCHE STRATEGIEN ZWISCHEN „FREIHEITSKAMPF“ UND TERRORISMUS

5.1 Angeklagter und Ankläger: Franz Tumlers Aufschreibung aus Trient

5.1.1 Terrorismus erzählen, Geschichte erzählen: Die Verweigerung

5.1.2 Eine Aufrollung von Geschichte

5.1.3 Der Terrorist als literarische Figur

5.1.4 Franz Tumler über Südtirol

5.1.5 Der Dialog als Ausweg?

5.2 Der Terrorist als Vater und Bruder: Sepp Malls Wundränder

5.2.1 Geschichte erzählen, Terrorismus erzählen: Die Verweigerung

5.2.3 Keine Aufrollung von Geschichte

5.2.3 Der Terrorist als literarische Figur

5.2.4 Sepp Mall über Heldengeschichten

5.2.5 Der Perspektivwechsel als Ausweg?

5.3 Resümee

 

 

 

6 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

 

 

 

Traliccio abbattuto nella Notte dei Fuochi (giugno 1961), Foto Alberti, Archivio Prov. di Bolzano
 

 

 

 

 

EINLEITUNG

 

Heikle Kapitel der Zeitgeschichte werden gewöhnlich erst Jahrzehnte nach den historischen Ereignissen geschrieben. Bei der Forschung zu den terroristischen Anschlägen in Südtirol zwischen 1961 und 1988 verhält es sich nicht anders. Aus einer zeitlichen Distanz heraus, mehren sich, insbesondere seit den 1990er Jahren, Beiträge aus Wissenschaft und Literatur. Dabei ist der Prozess der Vergangenheitsbewältigung auch Jahrzehnte nach den historischen Ereignissen keinesfalls zu Ende. Vielmehr verdichtet sich seit der Jahrtausendwende die Auseinandersetzung – eine aufmerksame Relektüre dieses umstrittenen Kapitels Südtiroler Zeitgeschichte hat gerade erst begonnen.

Im Gegensatz zur Forschung, die im Grunde erst in den 1990er Jahren begonnen wurde – bis dahin wurde die Erinnerung von einem mystifizierten Narrativ des „Freiheitskampfes“ beherrscht –, hat sich die Literatur bereits sehr früh mit diesen „bleiernen Jahren“ in Südtirol auseinandergesetzt. Nur vier Jahre nach der berühmt gewordenen „Feuernacht“ erscheint ein erster Roman, und bis 2011 sind es eine Fülle von literarischen Texten, die eine literarische (Re-)Konstruktion der Sprengstoffanschläge versuchen und einen wesentlichen Beitrag für die Erinnerungsarbeit geleistet haben. Terrorismus scheint hier zunächst ein literarischer Stoff wie jeder andere zu sein, allerdings wird bereits bei der wissenschaftlichen Diskussion um die Bezeichnung der AkteurInnen – FreiheitskämpferInnen oder TerroristInnen? – das Spannungsverhältnis deutlich. Gerrit-Jan Berendse geht sogar so weit, von „sprachtötenden Terrorismus-Diskursen“ zu sprechen, durch welche die Literatur zu ihrem eigenen Verstummen beiträgt.1 Inwieweit dies auf die literarische Rezeption des Südtirol-Terrorismus zutreffend ist, wird sich nachfolgend herausstellen.

 

In der historischen Forschung ist der Südtirol-Terrorismus sehr gut aufgearbeitet worden; in der Germanistik wurde diese Thematik aber bislang nicht aufgegriffen. Äquivalente Arbeiten gibt es über die literarische Aufarbeitung der RAF und 9/11, wobei hier besonders die Publikationen von Thomas Hoeps und Gerrit-Jan Berendse hervorzuheben sind, die sich beide mit der Faszination und der Komplexität von Terrorismus als literarischem Stoff beschäftigt haben. Zu den einzelnen literarischen Texten, die den Südtirol-Terrorismus zum Thema haben, gibt es sehr wenig Sekundärliteratur, was aber nicht zuletzt auf die mangelnde literarische Qualität und die unzureichende Bekanntheit der AutorInnen zurückzuführen ist. Viele Romane sind darüber hinaus erst nach 2000 erschienen, sodass Germanistik und Romanistik noch nicht darauf reagiert haben. Um-fangreiche Sekundärliteratur gibt es zu Franz Tumlers Aufschreibung aus Trient, in der jedoch selten explizit auf die terroristischen Anschläge Bezug genommen wird – der Fokus liegt auf seiner Poetik. Vereinzelte Publikationen und Diplom-arbeiten gibt es auch zu den Werken von Norbert C. Kaser, Joseph Zoderer und Sepp Mall, die sich bei letzteren auf das Motiv der Heimat konzentrieren.

 

Die folgende Arbeit nimmt sich vor, erstmals eine systematische Erfassung der literarischen Produktion in und außerhalb Südtirols zwischen 1957 und 2011 zu leisten. Für die Betrachtungen der literarischen Werke sind die historischen Rahmenbedingungen eine Grundvoraussetzung, weshalb ein Schwerpunkt auf die Ursachen, Hintergründe und Nachwirkungen der Bombenjahre gelegt wird. In weiterer Folge ist es unerlässlich, einen Blick auf die Terrorismus-Forschung zu werfen, die Aufschluss über die Schwierigkeiten beim Schreiben über Terrorismus gewährt. Die Biographien der AutorInnen und die jeweilige Entstehungs-zeit sind zudem wichtige Faktoren, die für das Verständnis der Texte mitberücksichtigt werden müssen. Eine chronologische Abhandlung soll die literarische Entwicklung der letzten Jahrzehnte und deren Verschränkung mit der historischen Forschung, die von einem Konkurrenzverhältnis getragen wird, aufzeigen. Abschließend wird eine Analyse der beiden ausgewählten Werke Aufschreibung aus Trient von Franz Tumler und Wundränder von Sepp Mall, den literarischen Strategien zwischen „Freiheitskampf“ und Terrorismus nachgehen. Die Bedeutung der historischen Ereignisse und die Darstellung der literarischen Figur des Terroristen werden hierbei eine zentrale Rolle spielen.